Ein Hauch von Schnee und Asche
würde. Ich konnte hören, wie meine Zähne zertrümmert wurden, wie meine zerbrechlichen Schädelknochen zersplitterten und sich in den weichen Brei meines Hirns bohrten, und ich biss zitternd die Zähne zusammen, um mich vergeblich vor dem Aufprall zu schützen. Es würde wie eine zerplatzende Melone klingen, dumpf, klebrig und hohl. Würde ich es hören?
Es kam nicht. Es gab ein anderes Geräusch, ein schnelles, festes Rascheln, das keinen Sinn ergab. Ein schwach fleischiges Geräusch, Haut auf Haut in einem leise klatschenden Rhythmus, und dann stöhnte er, und warme Flüssigkeit landete nass in meinem Gesicht und auf meinen Schultern, spritzte auf die nackte Haut unter meinem zerrissenen Hemd.
Ich erstarrte. Irgendwo in einem entfernten Winkel meines Verstandes fragte sich der sachliche Beobachter, ob dies wohl wirklich das Ekelhafteste war, das ich je erlebt hatte. Nun, nein, das war es nicht. Einige der Dinge, die ich im L’Hôpital des Anges gesehen hatte, ganz zu schweigen von Vater Alexandres Tod oder der Dachkammer der Beardsleys … dem Feldlazarett von Amiens … Himmel, nein, an diese Dinge kam das hier nicht im Entferntesten heran.
Ich lag stocksteif da, die Augen geschlossen, rief mir alle möglichen üblen Erlebnisse aus meiner Vergangenheit ins Gedächtnis und wünschte, ich wäre in der Tat irgendwo dort anstatt hier.
Er beugte sich über mich, packte mein Haar und schlug meinen Kopf keuchend mehrere Male gegen den Baum.
»Habt Ihr davon«, knurrte er, dann ließ er die Hand sinken, und ich hörte ihn schlurfend davonstolpern.
Als ich schließlich die Augen öffnete, war ich allein.
Ich blieb allein – ein kleiner Segen. Bobles brutaler Angriff schien die Jungen verscheucht zu haben.
Ich drehte mich auf die Seite, lag still da und atmete einfach nur. Ich fühlte mich sehr müde und völlig verloren.
Jamie , dachte ich, wo bist du ?
Ich hatte keine Angst vor dem, was als Nächstes passieren könnte. Ich konnte nicht über den gegenwärtigen Moment hinausblicken, den nächsten Atemzug, den nächsten Herzschlag. Ich dachte an nichts und weigerte mich zu fühlen. Noch nicht. Ich lag einfach nur still und atmete.
Allmählich begann ich, Kleinigkeiten wahrzunehmen. Ein Rindenstückchen, das sich in meinem Haar verfangen hatte und mich an der Wange kratzte. Die dichte, nachgiebige Laubschicht unter mir, die meinen Körper umschloss. Das Gefühl der Anstrengung, jedes Mal wenn sich meine Brust hob. Zunehmender Anstrengung.
Ein winziger Nerv begann neben meinem Auge zu zucken.
Ganz plötzlich begriff ich, dass ich mit dem Knebel im Mund und meiner rapide zuschwellenden Nase ernsthaft in Gefahr war zu ersticken. Ich wand mich auf die Seite, so weit ich es konnte, ohne stranguliert zu werden, rieb erst mein Gesicht über den Boden, bohrte dann – mit wachsender Verzweiflung – die Fersen in den Boden und kämpfte mich hoch, um mit dem Gesicht über die Baumrinde zu kratzen. Doch meine Versuche, den Knebel zu lockern, blieben erfolglos.
Die Rinde kratzte mir Lippen und Wangen auf, doch das Halstuch, das um meinen Kopf gebunden war, saß so fest, dass es mir in die Mundwinkel schnitt und meinen Mund mit Gewalt offen hielt, so dass ständig Speichel in den Stoffball in meinem Mund sickerte. Ich würgte, weil mich das nasse Tuch im Hals kitzelte, und spürte ganz hinten in der Nase das Brennen von Erbrochenem.
Du wirst nicht, du wirst nicht, duwirstnichtduwirstnicht wirst dich nicht übergeben ! Ich holte blubbernd durch meine blutige Nase Luft, schmeckte Kupfer, als mir der Schleim durch den Hals lief, würgte fester, beugte mich vor – und sah weißes Licht am Rand meines Blickfeldes, weil sich die Schlinge um meinen Hals zuzog.
Ich fiel zurück, und mein Kopf schlug fest gegen den Baum. Ich merkte es kaum; die Schlinge lockerte sich wieder, Gott sei Dank, und es gelang mir zwei, drei kostbare Atemzüge blutverklebter Luft zu holen.
Meine Nase war von Wange zu Wange aufgedunsen und schwoll rapide
an. Ich biss die Zähne auf dem Knebel zusammen und pustete durch meine Nase, um sie zu reinigen, wenn auch nur für einen Moment. Eine Mischung aus Galle und Blut spritzte warm über mein Kinn, tropfte auf meine Brust – und ich holte aus Leibeskräften Luft und kam etwas zu Atem.
Puste, atme ein. Puste, atme ein. Puste – aber meine Nase war jetzt fast zugeschwollen, und fast hätte ich vor Panik aufgeschluchzt, als keine Luft kam.
Himmel, nicht weinen! Du bist tot, wenn du weinst, in
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