Ein Hauch von Schnee und Asche
meines eigenen Atems und das rasende Klopfen meines Herzens. Nachdem es sich verzweifelt bemüht hatte, den Sauerstoff durch mein ausgehungertes Gewebe zu transportieren, kam es jetzt endlich zur Ruhe, klopfte aber dabei so fest, dass es meinen ganzen Körper schüttelte.
Dann drangen ein oder zwei Worte zu mir durch, und ich hob den Kopf und starrte ihn an.
»Was?«, sagte ich mit belegter Stimme. Ich hustete und schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Es tat sehr weh. » Was habt Ihr gesagt?«
Im schwachen Feuerschein war er nur als zottiger, löwenmähniger Umriss mit hageren Schultern zu erkennen.
»Ich habe gesagt«, flüsterte er und beugte sich dicht zu mir herüber, »sagt Euch der Name ›Ringo Starr‹ etwas?«
Inzwischen konnte mich nichts mehr schockieren. Ich wischte mir nur vorsichtig meine aufgeplatzte Lippe an der Schulter ab und sagte ganz ruhig: »Ja.«
Er hatte die Luft angehalten; ich merkte es erst, als ich den Seufzer hörte, mit dem er ausatmete, und sah, wie er die Schultern fallen ließ.
»O Gott«, sagte er halb zu sich selbst. »O Gott.«
Er schoss plötzlich auf mich zu und nahm mich fest in seine Arme. Ich fuhr zurück, und die Halsschlinge schnürte mir die Luft ab, doch er war so von seinen eigenen Gefühlen gefangen, dass er es nicht bemerkte.
»O Gott«, sagte er beinahe schluchzend und vergrub das Gesicht an meiner Schulter. »O Gott, ich wusste es, ich wusste, dass es so sein musste, aber ich konnte es nicht glauben, o Gott, o Gott, o Gott! Ich hatte nicht gedacht, dass ich je noch einen finden würde, im Leben nicht -«
»Kk«, sagte ich. Ich krümmte mich verzweifelt.
»Was – oh, Mist!« Er ließ los und griff nach der Schlinge um meinen Hals. Er bekam sie zu fassen und zerrte sie mir über den Kopf. Dabei riss er mir fast das Ohr ab, doch das störte mich nicht. »Mist, alles okay?«
»Ja«, krächzte ich. »Bindet… mich los.«
Er zog die Nase hoch und wischte sie an seinem Ärmel ab, dann blickte er hinter sich.
»Ich kann nicht«, flüsterte er. »Der Nächste würde es merken.«
»Der Nächste ?«, schrie ich, so weit ich erstickt flüsternd schreien konnte. »Wie meint Ihr das, der Nächste -«
»Nun ja, Ihr wisst schon…« Ihm schien plötzlich zu dämmern, dass ich etwas dagegen haben könnte, verschnürt wie ein Truthahn brav auf den nächsten Möchtegernvergewaltiger in der Warteschlange zu harren. »Äh … ich meine… na ja, egal. Wer seid Ihr?«
»Ihr wisst verdammt gut, wer ich bin«, krächzte ich wütend und stieß ihn mit beiden Händen von mir. »Ich bin Claire Fraser. Wer zum Teufel seid Ihr, was tut Ihr hier, und wenn Ihr auch nur ein weiteres Wort von mir hören wollt, bindet mich gefälligst auf der Stelle los!«
Er wandte erneut nervös den Kopf, um hinter sich zu blicken, und ich bekam den vagen Eindruck, dass er vor seinen Kameraden Angst hatte. Das ging mir nicht anders. Ich konnte sein Profil im Gegenlicht sehen; er war in der Tat der junge Indianer mit den buschigen Haaren, den ich für einen Tuscarora gehalten hatte. Indianer… Irgendwo im Gewirr meiner Synapsen kam klickend eine Verbindung zustande.
»Teufel noch mal«, sagte ich und betupfte ein Blutrinnsal, das aus meinem
wunden Mundwinkel lief. »Otterzahn. Du bist einer von seinen Jungs.«
»Was?« Sein Kopf fuhr herum, und er sah mich an, die Augen so weit aufgerissen, dass ringsum kurz das Weiße zu sehen war. »Wer?«
»Oh, wie zum Teufel hieß er noch? Robert … Robert irgendwie…« Ich zitterte vor Wut, Schrecken, Schock und Erschöpfung und tastete in den verschwommenen Resten dessen herum, was einmal mein Verstand gewesen war. Ich mochte ja ein Wrack sein, doch an Otterzahn konnte ich mich gut erinnern. Mir kam eine plötzliche, lebhafte Erinnerung an eine Nacht ganz wie diese. Ich war allein in der Dunkelheit, es war regennass, und ich war völlig allein, einen lange begrabenen Schädel in meinen Händen.
»Springer«, sagte er und packte gebannt meinen Arm. »Springer – war es das? Robert Springer?«
Ich besaß gerade genug Geistesgegenwart, um meine Lippen zusammenzupressen, mein Kinn vorzuschieben und ihm beide Hände hinzuhalten. Kein Wort mehr, bis er mich losschnitt.
»Mist«, murmelte er noch einmal. Dann warf er einen weiteren hastigen Blick hinter sich und fingerte nach seinem Messer. Er stellte sich nicht besonders geschickt damit an. Wenn ich irgendeinen Beweis gebraucht hätte, dass er kein echter Indianer dieser Zeit war … doch
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