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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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er bekam meine Hände frei, ohne mich zu schneiden, und ich beugte mich stöhnend vornüber und steckte die Hände in meine Achselhöhlen, während das Blut in sie hineinschoss. Sie fühlten sich an wie gefüllte Luftballons, die zum Zerplatzen gedehnt waren.
    »Wann?«, wollte er wissen, ohne meine Not zu beachten. »Wann sind Sie gekommen? Wo haben Sie Bob gefunden? Wo ist er?«
    »1946«, sagte ich und drückte meine Arme fest auf meine pochenden Hände. »Beim ersten Mal. 1968 beim zweiten. Und was Mr. Springer angeht …«
    »Beim zweiten – haben Sie gesagt beim zweiten Mal?« Seine Stimme wurde vor Erstaunen lauter. Er hielt inne und sah sich schuldbewusst um, doch die Geräusche der Männer, die am Feuer Würfel spielten und diskutierten, waren laut genug, um einen einzelnen Ausruf zu übertönen.
    »Ein zweites Mal«, wiederholte er, diesmal leiser. »Also haben Sie es geschafft? Sie sind zurückgegangen?«
    Ich nickte mit zusammengepressten Lippen und wiegte mich sacht vor und zurück. Ich hatte bei jedem Herzschlag das Gefühl, meine Fingernägel würden abplatzen.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich, obwohl ich mir hinreichend sicher war, die Antwort bereits zu kennen.
    »1965«, bestätigte er mein Gefühl.
    »In welchem Jahr bist du herausgekommen?«, fragte ich. »Ich meine – wie lange bist du schon hier? Äh … jetzt, meine ich.«

    »O Gott.« Er ging in die Hocke und fuhr sich mit der Hand durch sein langes, wirres Haar. »Ich bin jetzt sechs Jahre hier, soweit ich das sagen kann. Aber Sie haben gesagt – ein zweites Mal. Wenn Sie es nach Hause geschafft haben, warum zum Teufel sind Sie zurückgekommen ? Oh – halt. Sie haben es nicht nach Hause geschafft, Sie sind in einer anderen Zeit gelandet als der, in der Sie aufgebrochen sind? Wann sind Sie aufgebrochen?«
    »Schottland, 1946. Und nein, ich bin nach Hause gekommen«, sagte ich, ohne ins Detail gehen zu wollen. »Aber mein Mann war hier. Ich bin mit Absicht zurückgegangen, um bei ihm zu sein.« Ein Entschluss, an dessen Klugheit ich zur Stunde ernsthaft zweifelte.
    »Und wo wir gerade von meinem Mann sprechen«, fügte ich hinzu und bekam das Gefühl, eventuell doch noch ein paar Fetzen gesunden Menschenverstandes zu besitzen, »das war kein Witz. Er kommt. Ich versichere dir, dass es besser wäre, wenn er mich nicht in deiner Gefangenschaft antrifft. Aber wenn du -«
    Er beugte sich aufgeregt zu mir vor, ohne meine Worte zu beachten.
    »Aber das heißt ja, dass Sie wissen, wie es funktioniert! Sie können steuern!«
    »Etwas in der Art«, sagte ich ungeduldig. »Dann haben deine Begleiter und du also nicht gewusst, wie man steuert, wie du es ausdrückst?« Ich massierte eine Hand mit der anderen und biss die Zähne zusammen, so heftig pulsierte das Blut. Ich konnte die Abdrücke spüren, die das Seil in meiner Haut zurückgelassen hatte.
    »Wir dachten, wir wüssten es.« Ein Hauch von Bitterkeit lag in seiner Stimme. »Singende Steine. Edelsteine. Damit haben wir es gemacht. Raymond hatte gesagt… aber es hat nicht funktioniert. Oder vielleicht… vielleicht hat es doch funktioniert.« Er spann seine Gedanken weiter, ich konnte hören, wie die Aufregung in seinem Tonfall wieder zunahm.
    »Sie haben Bob Springer getroffen – Otterzahn, meine ich. Also hat er es geschafft! Und wenn er es geschafft hat, dann die anderen ja vielleicht ebenfalls. Und ich dachte schon, sie wären alle tot. Ich dachte … dachte, ich wäre allein.« Seine Stimme war belegt, und trotz meiner Notlage und meiner Verärgerung ihm gegenüber spürte ich einen Stich des Mitgefühls. Ich wusste sehr gut, wie es sich anfühlte, auf diese Weise allein zu sein, gestrandet in der Zeit.
    Irgendwie hätte ich ihm seine Illusionen gern gelassen, doch es hatte keinen Sinn, ihm die Wahrheit vorzuenthalten.
    »Ich fürchte, Otterzahn ist tot.«
    Er erstarrte plötzlich und saß ganz still da. Der schwache Feuerschein, der durch die Bäume drang, zeigte mir seinen Umriss; ich konnte sein Gesicht sehen. Ein paar seiner langen Haare hoben sich im Wind. Sie waren alles, was sich bewegte.
    »Wie?«, sagte er schließlich mit leiser, erstickter Stimme.

    »Von den Irokesen umgebracht«, sagte ich. »Den Mohawk.« Mein Verstand begann ganz allmählich wieder zu arbeiten. Vor sechs Jahren war dieser Mann – wer immer er war – erschienen. Das wäre also 1767. Und doch war Otterzahn, der Mann, der einmal Robert Springer gewesen war, mehr als eine Generation zuvor gestorben. Sie

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