Ein Hauch von Schnee und Asche
widerspenstigen Kiefernzweige von seinem Knüppel ab. Ein paar Minuten zuvor hatte er noch sterben wollen, und vielleicht würde er das wieder wollen, wenn Emily… Aber nicht jetzt. Wenn Emily… und außerdem gab es ja noch den Hund. Rollo würde ihn nicht im Stich lassen; sie mussten einander verteidigen.
Es war Wasser in der Nähe; trotz des Windes hörte er es gurgeln. Doch der Wind trug gleichzeitig ein anderes Geräusch zu ihm heran; ein lang gezogenes, gespenstisches Heulen, das ihm erneut den kalten Schweiß im Gesicht ausbrechen ließ. Ein ähnlicher Laut antwortete im Westen. Zwar weit entfernt, doch jetzt waren sie auf der Jagd. Er roch nach Emilys Blut.
Er machte kehrt und suchte die Nähe des Wassers. Es war ein kleiner Bach, kaum mehr als einen Meter breit. Er trat ohne zu zögern hinein und zersplitterte die dünne Eiskruste, die am Ufer klebte. Die Kälte biss ihm in die Beine, als das Wasser ihm die Hose durchtränkte und die Mokassins füllte. Er blieb den Bruchteil einer Sekunde stehen und zog die Mokassins aus, damit die Strömung sie nicht davontrug; Emily hatte sie für ihn gemacht, aus Elchleder.
Rollo hatte den Bach mit zwei gigantischen Sätzen überquert und blieb am anderen Ufer stehen, um sich das eisige Wasser aus dem Pelz zu schütteln, bevor er weitertrabte. Doch er folgte dem Ufer; Ian blieb im Wasser, das ihn bis zum Schienbein umspülte, watete, so lange er konnte. Wölfe folgten auf der Jagd genauso dem Wind wie den Geruchsfährten auf dem Boden, doch er sah keinen Grund, es ihnen leicht zu machen.
Er hatte sich die nassen Mokassins in den Halsausschnitt seines Jagdhemds gesteckt, und eisige Rinnsale liefen ihm über Brust und Bauch, durchtränkten seinen Lendenschurz. Seine Füße waren taub; er konnte die runden Steine des Bachbetts zwar nicht spüren, doch sie waren mit schlüpfrigen Algen bewachsen, und dann und wann glitt sein Fuß darauf aus, und er schwankte und stolperte, um das Gleichgewicht zu behalten.
Er konnte die Wölfe jetzt deutlicher hören, doch das war gut – der Wind hatte sich gedreht; er wehte jetzt in seine Richtung und brachte ihre Stimmen mit. Oder lag es nur daran, dass sie näher gekommen waren?
Näher. Rollo war wie von Sinnen, schoss am anderen Ufer hin und her, jaulte und knurrte und drängte ihn mit kurzen Lauten zur Eile. Ein Wildwechsel
stieß auf dieser Seite auf den Bach; er stolperte aus dem Wasser darauf zu, keuchte und zitterte. Er brauchte mehrere Versuche, um die Mokassins wieder anzuziehen. Das nasse Leder war glitschig, und seine Hände und Füße verweigerten ihm den Dienst. Er musste seinen Knüppel ablegen und beide Hände benutzen.
Er hatte es gerade geschafft, den zweiten Schuh anzuziehen, als Rollo plötzlich unter herausforderndem Knurren das Ufer hinuntersauste. Noch während Ian im gefrorenen Schlamm herumfuhr und nach seinem Knüppel griff, sah er auf der anderen Seite des Wassers eine graue Gestalt, die ungefähr Rollos Größe hatte. Ihre blassen Augen waren ihm erschreckend nah.
Er kreischte auf und warf instinktiv mit dem Knüppel danach. Dieser flog über den Bach und landete neben den Pfoten des Wolfs auf dem Boden – und das Tier verschwand wie von Zauberhand. Im ersten Moment stand er stocksteif da und starrte hinüber. Er hatte es sich doch nicht eingebildet?
Nein, Rollo tobte; er bellte mit gefletschten Zähnen, und Schaumflocken flogen ihm um die Schnauze. An der Wasserkante lagen Steine; Ian ergriff einen, noch einen, kratzte eine Hand voll zusammen, noch einen, stieß sich in seiner Hast die Finger an den Steinen und dem gefrorenen Boden. Er hielt die Vorderseite seines Jagdhemds wie einen Beutel vor sich hin.
Der weiter entfernte Wolf heulte erneut; der nähere antwortete so dicht bei ihnen, dass sich seine Nackenhaare sträubten. Er schleuderte einen Stein in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war, drehte sich um und rannte fort, das Bündel mit den Steinen fest an seinen Bauch gedrückt.
Am Himmel zeigte sich jetzt Dämmerlicht. Herz und Lungen rangen um Blut und Luft, und doch hatte er das Gefühl, so langsam zu rennen, dass er über den Waldboden schwebte und wie eine Wolke dahinzog, unfähig, sich schneller zu bewegen. Er konnte jeden einzelnen Baum sehen, jede Nadel der Fichte, an der er jetzt vorbeikam, kurz und breit, sanftes Silbergrün im Morgenlicht.
Er atmete schwer, es verschwamm ihm vor den Augen, dann sah er wieder klar – Tränen der Anstrengung, die ihm den Blick verstellten, bis
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