Ein Hauch von Schnee und Asche
ihrer Haut ab. Er konnte die richtigen Worte nicht finden, die Sprache der Kahnyen’kehaka war aus seinem Kopf entflohen, und so sagte er das Erste, das ihm in den Sinn kam.
»Mein Herz – Liebste – geht es dir nicht gut? Heiliger Michael, steh uns bei, was hast du?«
Sie wusste, dass er da war. Etwas – eine kleine Welle, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft – durchlief sie, und ihr stockte erneut der Atem, ein leises, trockenes Geräusch.
Er wartete nicht weiter, sondern kroch nackt aus den Pelzen und rief um Hilfe. Menschen kamen in den Dämmerschein des Langhauses gestolpert, unförmige Schatten, die in einem Nebel aus Fragen auf ihn zueilten. Er konnte nicht sprechen; brauchte es auch nicht. Innerhalb von Sekunden war Tewaktenyonh da, ihr krafterfülltes, altes Gesicht in grimmiger Ruhe erstarrt, und die Frauen des Langhauses hasteten an ihm vorbei und stießen ihn beiseite, als sie Emily in ein Rehfell gehüllt davontrugen.
Er folgte ihnen ins Freie, doch sie verschwanden im Haus der Frauen am Ende des Dorfes, ohne ihn zu beachten. Zwei oder drei Männer traten vor die Tür und sahen ihnen nach, dann machten sie achselzuckend kehrt und gingen wieder hinein. Es war kalt und spät und außerdem Frauensache.
Einige Minuten später ging er selbst hinein, jedoch nur, um sich ein paar Kleider anzuziehen. Er konnte nicht im Langhaus bleiben, nicht ohne sie, nicht in einem Bett, das nach Blut roch. An seiner Haut war ebenfalls Blut, doch er nahm sich nicht die Zeit, es abzuwaschen.
Draußen waren die Sterne verblichen, und der Himmel war schwarz. Es war bitterkalt und sehr still.
Die Lederhaut, die vor der Tür seines Langhauses hing, bewegte sich, und Rollo kam hindurchgeschlüpft, grau wie ein Gespenst. Der große Hund streckte die Vorderpfoten aus und räkelte sich. Er stöhnte, steif von der späten Stunde und der Kälte. Dann schüttelte er seinen dichten Pelz, stieß schnaubend ein weißes Atemwölkchen aus und schlenderte langsam zu seinem Herrn. Er ließ sich mit einem resignierten Seufzer auf den Hintern plumpsen und lehnte sich an Ians Bein.
Ian blieb noch eine Weile stehen, den Blick auf das Haus gerichtet, in dem seine Emily war. Sein Gesicht war fieberheiß vor Ungeduld. Er brannte gleißend wie ein Stück Kohle, doch er konnte spüren, wie die Hitze aus ihm entwich, um in den kalten Himmel zu steigen, und sein Herz langsam schwarz wurde. Schließlich schlug er sich mit der Handfläche auf den Oberschenkel und wandte sich schnellen Schrittes dem Wald zu. Der große Hund tappte geräuschlos neben ihm her.
»Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade…« Ohne darauf zu achten,
wohin er ging, betete er flüsternd, aber hörbar, seine Stimme ein Trost in der schweigenden Dunkelheit.
Ob er zu einem der Mohawk-Geister beten sollte?, fragte er sich. Würden sie wütend sein, weil er zu seinem alten Gott sprach, zur Mutter Gottes? Würden sie sich für eine solche Kränkung an seiner Frau und seinem Kind rächen?
Das Kind ist schon tot. Er hatte keine Ahnung, woher dieses Wissen kam. Doch er wusste, dass es so war, so sicher, als hätte es jemand laut zu ihm gesagt. Es war ein gleichgültiges Wissen, noch kein Grund zur Trauer; nur eine Tatsache, von der er wusste und die ihn erschütterte.
Er drang weiter in den Wald vor, zuerst im Gehen, dann im Laufschritt, den er nur verlangsamte, wenn er musste, um wieder zu Atem zu kommen. Die Luft war kalt wie ein Messer und reglos; sie duftete nach Rotte und Terpentin, doch die Bäume, an denen er vorbeikam, flüsterten kaum hörbar. Emily konnte sie reden hören; sie kannte ihre geheimen Stimmen.
»Aye, und was nützt ihr das?«, knurrte er, das Gesicht zu der sternenlosen Leere zwischen dem Geäst erhoben. »Ihr habt ihr nichts gesagt, das irgendetwas wert wäre. Und ihr wisst auch nicht, wie es jetzt um sie steht, oder?«
Dann und wann konnte er direkt hinter sich die Pfoten des Hundes im Laub rascheln oder leise auf den blanken Boden tapsen hören. Hin und wieder stolperte er, weil seine Füße in der Dunkelheit fehltraten, einmal stürzte er schmerzhaft, rappelte sich stolpernd wieder hoch und lief schwankend weiter. Er hatte aufgehört zu beten; sein Verstand formte keine Worte mehr, konnte sich nicht mehr zwischen den Silbenbruchstücken seiner verschiedenen Sprachen entscheiden, und der Atem brannte rasselnd in seiner Kehle, als er weiterlief.
Er spürte in der Kälte ihren Körper an den seinen gepresst, ihre vollen Brüste in seinen
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