Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
stören.
    »Wie alt ist denn das Kleine?«, fragte er im Plauderton während einer kurzen Atempause. Er wusste es ungefähr, weil es eine Woche nach Orem McCallums Tod zur Welt gekommen war – aber wenigstens war es etwas, was er sagen konnte. Und was sein Alter anging, so kam es ihm furchtbar klein und leicht vor, zumindest verglichen mit seiner Erinnerung an Jemmy zur selben Zeit.
    Sie murmelte etwas Unhörbares, doch das Weinen ging in holpernde Seufzer über. Dann sagte sie noch etwas.
    »Wie war das, Mrs. McCallum?«
    »Warum?«, flüsterte sie unter ihrem verblichenen Kaliko. »Warum hat mich Gott hierher gebracht?«
    Das war allerdings eine verdammt gute Frage; er hatte sie selbst schon oft genug gestellt, allerdings noch keine überzeugenden Antworten erhalten.
    »Nun … wir bauen darauf, dass er einen Plan hat«, sagte er ein wenig verlegen. »Wir kennen ihn nur nicht.«
    »Ein schöner Plan«, sagte sie und schluchzte auf. »Uns so weit zu bringen, an diesen schrecklichen Ort, und mir dann meinen Mann wegzunehmen und mich hier verhungern zu lassen!«
    »Oh … so schrecklich ist es hier doch gar nicht«, sagte er, weil ihm ansonsten keine Gegenargumente einfielen. »Die Wälder und die… Bäche, die Berge… es ist… äh … ziemlich hübsch. Wenn es nicht gerade regnet.« Diese hirnverbrannten Worte brachten sie tatsächlich zum Lachen, obwohl es schnell erneut in Weinen überging.
    »Was?« Er legte den Arm um sie und zog sie ein wenig fester an sich, sowohl um sie zu trösten als auch um auszumachen, was sie unter ihrer improvisierten Zuflucht sagte.
    »Ich vermisse das Meer«, flüsterte sie und lehnte ihren in Kaliko gehüllten Kopf an seine Schulter, als sei sie sehr müde. »Ich werde es nie wieder sehen.«
    Damit hatte sie sehr wahrscheinlich Recht, und es gab nichts, was er darauf
erwidern konnte. Sie saßen eine Weile da, und nur das Schmatzen des Babys unterbrach die Stille.
    »Ich lasse nicht zu, dass Ihr verhungert«, sagte er schließlich leise. »Das ist alles, was ich versprechen kann, aber ich verspreche es.« Mit steifen Beinen stand er auf und ergriff eine ihrer kleinen rauen Hände, die schlaff auf ihrem Schoß lagen. »Steht jetzt auf. Ihr könnt das Kleine füttern, während ich ein wenig aufräume.«
     
    Als er aufbrach, hatte es aufgehört zu regnen, und die Wolkendecke begann aufzureißen und ließ den blassblauen Himmel durchscheinen. An einer Biegung des steilen, schlammigen Pfades blieb er stehen, um einen Regenbogen zu bewundern – er war vollständig und reichte von einer Seite des Himmels zur anderen, und seine Nebelfarben versanken im nassen Dunkelgrün des gegenüberliegenden Berghangs.
    Es war still, bis auf das Wasser, das von den Blättern platschte und tropfte und neben dem Pfad durch eine felsige Rinne gurgelte.
    »Ein Pakt«, sagte er leise vor sich hin. »Und was ist das Versprechen? Doch bestimmt kein Goldschatz.« Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Er hielt sich an Ästen und Büschen fest, um nicht den Berg hinunterzurutschen; er wollte nicht als Gewirr von Knochen unten enden wie Orem McCallum.
    Er würde mit Jamie sprechen, außerdem mit Tom Christie und Hiram Crombie. Sie konnten es gemeinsam weitersagen und dafür sorgen, dass die Witwe McCallum und ihre Kinder genug zu essen bekamen. Die Leute teilten gern – aber es musste sie jemand fragen.
    Er sah sich noch einmal um; der schiefe Schornstein war über den Bäumen gerade noch zu sehen, doch er rauchte nicht. Sie konnten genug Brennholz sammeln, sagte sie – doch nass wie es war, dauerte es tagelang, bis sie etwas Brennbares hatten. Sie brauchten einen Schuppen für das Holz und Stücke, die so groß waren, dass sie einen Tag lang brannten, nicht die Zweige und heruntergefallenen Äste, die Aidan tragen konnte.
    Als hätte ihn der Gedanke herbeigerufen, sah er Aidan. Der Junge hockte etwa zehn Meter unter ihm mit dem Rücken zum Pfad an einem Teich und angelte. Seine Schulterblätter zeichneten sich scharf wie kleine Engelsflügel unter dem abgetragenen Stoff seines Hemdes ab.
    Das Rauschen des Wassers überdeckte seine Schritte, als er die Felsen hinunterstieg. Ganz sanft legte er Aidan die Hand um den schmalen weißen Nacken, und die hageren Schultern des Jungen fuhren überrascht zurück.
    »Aidan«, sagte er. »Ich muss bitte mit dir reden.«

39
    Ich bin die Auferstehung
    Ende Oktober 1773
     
    Gehämmer an der Tür riss Roger kurz vor Tagesanbruch aus dem Schlaf. Brianna, die neben ihm

Weitere Kostenlose Bücher