Ein Hauch von Schnee und Asche
und riss. Brummig hörte sie auf zu treten und ließ das Rad auslaufen – und erst in dieser Minute wurde ihr klar, dass schon seit einiger Zeit jemand an die Hüttentür hämmerte, dies aber im allgemeinen Lärm untergegangen war.
Als sie die Tür öffnete, fand sie eins der Fischerskinder triefend auf der Eingangsstufe, klein, hager und völlig verwildert. Die Pächterfamilien hatten mehrere solcher Kinder, so dass sie Schwierigkeiten hatte, sie auseinander zu halten.
»Aidan?«, riet sie. »Aidan McCallum?«
»Guten Tag, Mistress«, sagte der kleine Junge und nickte bestätigend mit dem Kopf. »Ist der Pastor zu Hause?«
»Pas – oh. Ja, das ist er. Komm doch herein, ja?« Sie verkniff sich ein Lächeln, öffnete die Tür und winkte ihn herein. Der Junge zog ein völlig schockiertes Gesicht, als er Roger auf dem Boden hocken und mit Jemmy, Joan und Felicité Brumm spielen sah, noch dazu unter solchem Kreischen und Dröhnen, dass sie den Neuankömmling gar nicht bemerkt hatten.
»Du hast Besuch«, sagte sie und hob die Stimme, um sich im allgemeinen Tumult Gehör zu verschaffen. »Er möchte den Pastor sprechen.« Roger bremste abrupt und blickte fragend auf.
»Den was?«, sagte er und setzte sich in den Schneidersitz. Dann erspähte er den Jungen und lächelte. »Oh. Aidan, a charaistet . Was gibt es denn?«
Aidan verzog beim Nachdenken das Gesicht. Offenbar hatte man ihm eine konkrete Botschaft mitgegeben, die er auswendig gelernt hatte.
»Mutter sagt, könnt Ihr bitte kommen«, rezitierte er, »und den Teufel austreiben, der in die Milch gefahren ist?«
Der Regen hatte zwar nachgelassen, doch sie waren trotzdem durchnässt, als sie das Heim der McCallums erreichten. Falls es denn einen solchen Ausdruck verdiente, dachte Roger und schlug sich den Regen vom Hut, während er Aidan über den schmalen, rutschigen Pfad zu der Hütte folgte, die hoch auf dem Hang in einer unpraktischen Mulde hockte.
Orem McCallum hatte es knapp geschafft, die Wände seiner wackeligen Hütte zu errichten, bevor er kaum einen Monat nach seiner Ankunft in Fraser’s Ridge fehltrat, in eine felsige Schlucht stürzte und sich das Genick brach. Seine schwangere Frau und sein kleiner Sohn blieben ihrem zweifelhaften Schutz überlassen.
Die anderen Männer hatten sich beeilt, sie mit einem Dach zu versehen, bevor der Schnee kam, doch die ganze Hütte erinnerte Roger verblüffend an einen Stapel Mikadostäbchen, der wackelig auf dem Berg hing und allem Anschein nach nur darauf wartete, dass ihn die nächste Schneeschmelze seinem Erbauer hinterherspülte.
Mrs. McCallum war jung und blass und so dünn, dass ihr Kleid sie umschlotterte
wie ein leerer Mehlsack. Himmel , dachte er, was mochten sie zu essen haben ?
»Oh, Sir, danke, dass Ihr gekommen seid.« Sie machte einen nervösen Hofknicks. »Tut mir so Leid, dass ich Euch durch den Regen geschickt habe – aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst tun sollte!«
»Keine Ursache«, beruhigte er sie. »Äh … Aidan hat gesagt, dass Ihr einen Pastor braucht. Das bin ich aber nicht, wisst Ihr.«
Sie machte ein bestürztes Gesicht.
»Oh. Nun, vielleicht nicht ganz, Sir. Aber die Leute sagen, dass Euer Vater Pastor war und Ihr Euch gut in der Bibel auskennt und all das.«
»Ganz gut, ja«, erwiderte er vorsichtig und fragte sich, was für ein Notfall wohl Bibelfestigkeit erfordern konnte. »Ein… äh … Teufel in Eurer Milch, ja?«
Er blickte diskret von ihrem Baby in der Wiege zur Vorderseite ihres Kleides, zunächst unsicher, ob sie womöglich ihre eigene Muttermilch meinte, denn auf ein solches Problem war er definitiv nicht vorbereitet. Glücklicherweise schien die Schwierigkeit mit einem Holzeimer zu tun zu haben, der auf dem wackeligen Tisch stand. Ein Musselintuch war darüber gebreitet, um die Fliegen fern zu halten, und in den Ecken des Tuchs waren kleine Steine als Gewichte festgeknotet.
»Aye, Sir.« Mrs. McCallum wies kopfnickend auf den Eimer. Offenbar hatte sie Angst, sich diesem weiter zu nähern. »Lizzie Wemyss aus dem Fraserhaus hat mir das gestern Abend gebracht. Sie hat gesagt, Mrs. Fraser sagt, ich muss sie Aidan geben und selbst davon trinken.« Sie sah Roger hilflos an; selbst in seiner eigenen Zeit betrachtete man Milch ausschließlich als Getränk für Kleinkinder und Kranke; da sie aus einem Fischerdorf an der schottischen Küste stammte, war es gut möglich, dass sie bis zu ihrer Ankunft in Amerika noch nie eine Kuh gesehen hatte. Er war sich
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