Ein Hauch von Schnee und Asche
Anwesenden zwar wahrscheinlich sauber, dafür aber mit Sicherheit tot war, atmete ich längst durch den Mund, als uns eine der Crombietöchter in ein Schultertuch gehüllt mit roten Augen hineinbat.
Die alte Mrs. Wilson war auf dem Tisch aufgebahrt. An ihrem Kopf stand eine Kerze, und sie war in das Leichentuch gehüllt, das sie zweifellos gleich nach ihrer Hochzeit gewebt hatte; der Leinenstoff war vom Alter vergilbt und zerknittert, jedoch sauber und weich im Kerzenschein, an den Rändern mit einem schlichten Muster aus Weinranken bestickt. Sie hatten es sorgfältig aufbewahrt und unter wer weiß welchen Mühen aus Schottland mitgebracht.
Jamie blieb an der Tür stehen, zog seinen Hut und murmelte formelle Beileidswünsche, welche die Damen und Herren Crombie kopfnickend und grunzend entgegennahmen. Ich überreichte unseren Lebensmittelkorb und nickte ebenfalls mit einer hoffentlich angemessenen Miene würdevollen Mitgefühls. Dabei behielt ich Jemmy im Auge.
Brianna hatte ihr Möglichstes getan, um ihm alles zu erklären, aber ich hatte keine Ahnung, wie er auf die ganze Sache – und die Leiche – reagieren würde. Wir hatten ihn unter Schwierigkeiten überredet, unter seiner Mütze hervorzukommen. Jetzt stand sein Haarwirbel zu Berge, und er sah sich neugierig um.
»Ist das die tote Dame, Oma?«, flüsterte er mir laut zu und zeigte auf die Leiche.
»Ja, Schätzchen«, sagte ich mit einem beklommenen Blick auf Mrs. Wilson. Doch sie sah ganz präsentabel aus, anständig mit ihrer besten Haube zurechtgemacht, eine Bandage um das Kinn gewickelt, um ihren Mund geschlossen zu halten, die trockenen Augenlider versiegelt, damit die Augen nicht im Kerzenschein glitzerten. Ich glaubte nicht, dass Jemmy der alten Dame je lebend begegnet war; es gab eigentlich keinen Grund, warum ihr Tod ihn erschrecken sollte – und er ging schon mit zur Jagd, seit er laufen konnte; er verstand mit Sicherheit, was »Tod« bedeutete. Außerdem war eine Leiche garantiert nicht halb so aufregend wie unsere Begegnung mit der bean-treim . Dennoch…
»Wir erweisen ihr jetzt die letzte Ehre, Schätzchen«, sagte Jamie leise zu ihm und stellte ihn auf den Boden. Ich fing den Blick auf, den Jamie zur Tür warf, wo auch Roger und Brianna jetzt ihre Beileidswünsche murmelten, und begriff, dass er gewartet hatte, bis sie uns einholten, so dass sie ihn beobachten
konnten und Bescheid wussten, was als Nächstes von ihnen erwartet wurde.
Er führte Jemmy durch die Menge, die respektvoll Platz machte, zum Tisch, wo er der Toten die Hand auf die Brust legte. Oh, so eine Beerdigung war das also.
Bei manchen Highland-Beerdigungen war es Sitte, dass jeder die Leiche berührte, damit der Verstorbene ihn nicht heimsuchte. Ich bezweifelte zwar, dass die alte Mrs. Wilson das geringste Interesse daran hatte, mir hinterherzuspuken, doch Vorsicht konnte nicht schaden – und ich erinnerte mich schließlich beklommen an einen Schädel mit Zahnfüllungen und an meine Begegnung mit seinem mutmaßlichen Besitzer in der irrlichternden Finsternis eines nächtlichen Berges. Ich warf unwillkürlich einen Blick auf die Kerze, doch es schien eine völlig normale Kerze aus bräunlichem, angenehm duftendem Bienenwachs zu sein, die leicht schief in ihrem Keramikständer lehnte.
Ich nahm mich zusammen, beugte mich vor und legte ebenfalls sanft die Hand auf das Leichentuch. Eine getöpferte Untertasse mit einer Scheibe Brot und einem Häuflein Salz stand auf der Brust der Toten, und eine kleine Schale mit einer dunklen Flüssigkeit – Wein? – stand neben ihr auf dem Tisch. Angesichts der guten Bienenwachskerze, des Salzes und der bean-treim hatte es ganz den Anschein, als versuchte Hiram Crombie sich seiner toten Schwiegermutter gegenüber vorbildlich zu verhalten – obwohl ich es seiner geizigen Natur zutraute, dass er das Salz nach der Beerdigung wieder benutzen würde.
Doch irgendetwas schien nicht zu stimmen; ein Hauch von Beklommenheit schlängelte sich zwischen den brüchigen Schuhen und den in Lumpen gewickelten Füßen der Anwesenden hindurch wie der kalte Luftzug von der Tür. Zuerst hatte ich gedacht, es läge vielleicht an unserer Anwesenheit, doch das war es nicht; alles hatte beifällig aufgeatmet, als Jamie neben die Leiche trat.
Jamie flüsterte Jemmy etwas zu, dann hob er ihn hoch, damit er die Tote berühren konnte. Jemmy zögerte keine Sekunde und spähte interessiert in das wächserne Gesicht der Verstorbenen.
»Wofür ist das?«, fragte er
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