Ein Hauch von Schnee und Asche
einen fragenden Blick zu, doch sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Falls jemand krank war, hatte man sie nicht um Hilfe gebeten.
Mrs. Gwiltys lange, schmale Oberlippe schob sich über ihre fürchterlichen Zähne.
»Seaumais Buchan«, bemerkte sie voll grimmiger Genugtuung. »Er liegt mit Fieber im Bett, und seine Brust wird ihn bis Ende der Woche umbringen, aber wir sind ihm zuvorgekommen. Glücklicherweise.«
»Was?«, sagte ihre Mutter und runzelte bestürzt die Stirn.
Mrs. Gwilty blitzte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
»Die letzte Person, die auf einem Friedhof beerdigt wird, muss ihn bewachen, Sassenach«, erklärte Jamie auf Englisch. »Bis der Nächste kommt und ihren Platz einnimmt.«
Er wechselte nahtlos wieder ins Gälische und sagte: »Glück hat sie, und das noch mehr, weil eine solche bean-treim ihrem Sarg folgen wird.« Er steckte die Hand in seine Tasche und reichte Mrs. Gwilty eine Münze. Diese sah sie an, kniff die Augen zu und sah noch einmal hin.
»Ah«, sagte sie zufrieden. »Nun, wir werden unser Bestes tun, das Mädchen und ich. Dann komm, a nighean , lass mich deine Stimme hören.«
Derart gedrängt, vor Publikum aufzutreten, zog Olanna ein zu Tode geängstigtes Gesicht. Doch es gab kein Entrinnen vor dem mahnenden Auge ihrer Tante. Sie schloss die Augen, pumpte Luft in ihre Brust, schob die Schultern zurück und stieß ein durchdringendes »IEEEEHHHieeeehhhIE-EEHHieh-ah-ieh-ah-ieh-ah« aus, bevor sie keuchend abbrach.
Roger zuckte zusammen, als hätte man ihm Bambussplitter unter die Fingernägel
geschoben, und ihrer Mutter stand der Mund offen. Jemmy hatte den Kopf tief eingezogen und klebte am Rock seines Großvaters wie eine kleine blaue Klette. Selbst Jamie machte einen leicht erschrockenen Eindruck.
»Nicht schlecht«, urteilte Mrs. Gwilty. »Vielleicht wird es ja doch kein völliges Fiasko. Ich höre, dass Hiram Euch gebeten hat, ein paar Worte zu sprechen?«, fügte sie mit einem herablassenden Blick in Rogers Richtung hinzu.
»So ist es«, antwortete Roger heiser, aber so bestimmt wie möglich. »Es ist mir eine Ehre.«
Darauf erwiderte Mrs. Gwilty nichts, sondern musterte ihn nur von oben bis unten. Dann wandte sie ihm kopfschüttelnd den Rücken zu und hob die Arme.
»AaaaaaaaAAAAAaaaaAAAAAAAaaaIeeeeeh«, jaulte sie mit einer Stimme, die Brianna Eiskristalle in ihrem Blut spüren ließ. »Weh, weh. Weeeeeeeh! AaaayaaaAAaayaaaAAhaaaaahaaa! Weh ist gekommen über das Haus Crombie – Weh!«
Auch Olanna wandte ihnen pflichtschuldigst den Rücken zu und ließ ihren Sopran einstimmen. Claire steckte sich taktlos, aber pragmatisch die Finger in die Ohren.
» Wie viel hast du ihnen gegeben?«, fragte sie Jamie auf Englisch. Jamies Schultern bebten kurz und er legte ihr fest die Hand auf den Ellbogen, um sie weiterzuschieben.
Trotz des Lärms hörte Brianna Roger an ihrer Seite schlucken.
»Du hättest den Whisky trinken sollen«, sagte sie zu ihm.
»Ich weiß«, sagte er heiser und nieste.
»Hast du schon einmal von Seaumais Buchan gehört?«, fragte ich Jamie, während wir uns unseren Weg über den matschigen Boden vor dem Haus der Crombies bahnten. »Wer ist das?«
»Oh, ich weiß von ihm, aye«, erwiderte er, während er mich mit einem Arm umschlag und mich über eine trübe Pfütze schwang, die nach Ziegenurin aussah. »Uff. Gott, du bist ganz schön schwer, Sassenach.«
»Das ist der Korb«, erwiderte ich geistesabwesend. »Ich glaube, Mrs. Bug hat ihn mit Bleipatronen gefüllt. Oder vielleicht auch nur Früchtebrot. Und wer ist er? Einer von den Fischern?«
»Aye. Er ist der Großonkel von Maisie MacArdle, die mit dem Mann verheiratet ist, der früher Bootsbauer war. Erinnerst du dich an sie? Rote Haare und eine sehr lange Nase, sechs Kinder.«
»Vage. Wie behältst du das nur alles?«, wollte ich wissen, doch er lächelte nur und bot mir seinen Arm an. Ich ergriff ihn, und wir schritten majestätisch durch den Schlamm und das darübergestreute Stroh, der Gutsherr und seine Gemahlin auf dem Weg zum Begräbnis.
Die Tür der Blockhütte stand trotz der Kälte offen, um den Geist der Toten hinauszulassen. Glücklicherweise ließ sie auch ein wenig Licht ein, da die Hütte grob zusammengezimmert war und keine Fenster hatte. Dazu war sie voll gestopft mit Menschen, die in den letzten vier Monaten nicht gebadet hatten.
Doch für mich waren weder beengte Hütten noch ungewaschene Menschen etwas Neues, und da ich wusste, dass zumindest einer der
Weitere Kostenlose Bücher