Ein Hauch von Schnee und Asche
laut und streckte die Hand nach dem Brot aus. »Wird sie das essen?«
Jamie packte sein Handgelenk und drückte seine Hand stattdessen auf das Leichentuch.
»Das ist für den Sündentilger, a bhailach . Fass es nicht an, aye?«
»Was ist ein -«
»Später.« Niemand diskutierte mit Jamie, wenn er diesen Tonfall benutzte, und Jemmy gab es auf und steckte den Daumen wieder in den Mund, als Jamie ihn zurück auf den Boden stellte. Brianna trat zu ihm, nahm ihn in die Arme, nachdem ihr gerade noch eingefallen war, die Tote ebenfalls zu berühren, und murmelte: »Ruht mit Gott.«
Dann trat Roger vor, und ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge.
Er sah bleich, aber gefasst aus. Sein Gesicht war hager und sehr asketisch. Normalerweise wurde es durch seine sanften Augen und seinen Mund, der gern lachte, vor allzu großer Strenge bewahrt. Doch dies war nicht der Zeitpunkt zum Lachen, und im gedämpften Licht der Hütte sahen seine Augen trostlos aus.
Er legte der Toten eine Hand auf die Brust und senkte den Kopf. Ich war mir nicht sicher, ob er für die Erlösung ihrer Seele oder um Inspiration betete, doch er verharrte über eine Minute so. Die Menge beobachtete ihn respektvoll, und außer Husten und Räuspern war nichts zu hören. Roger war nicht der Einzige, der im Begriff war, sich zu erkälten, dachte ich – und plötzlich fiel mir Seaumais Buchan wieder ein.
Er liegt mit Fieber im Bett, und seine Brust wird ihn bis Ende der Woche umbringen , hatte Mrs. Gwilty gesagt. Vielleicht eine Lungenentzündung – oder eine Bronchitis oder sogar Schwindsucht. Und niemand hatte mir etwas gesagt.
Bei diesem Gedanken spürte ich einen leisen Stich, zu gleichen Teilen vor Ärger, Schuldgefühl und Beklommenheit. Ich wusste, dass mir die neuen Pächter noch nicht über den Weg trauten; ich hatte vorgehabt, ihnen erst Gelegenheit zu geben, sich an mich zu gewöhnen, bevor ich anfing, ihnen Überraschungsbesuche abzustatten. Viele von ihnen hatten vor ihrer Ankunft in den Kolonien mit Sicherheit noch nie einen Engländer zu Gesicht bekommen – und ich war mir ihrer Einstellung gegenüber Sassenachs und Katholiken sehr wohl bewusst.
Doch jetzt lag praktisch vor meiner Tür offenbar ein Mann im Sterben – und ich hatte nicht einmal von seiner Existenz gewusst, von seiner Erkrankung ganz zu schweigen.
Sollte ich nach ihm sehen, wenn die Beerdigung vorbei war? Aber wo zum Teufel lebte der Mann? Es konnte nicht in unserer unmittelbaren Nähe sein; die Fischersleute, die sich unter uns auf dem Berg niedergelassen hatten, kannte ich; die MacArdles mussten weiter oben wohnen. Ich warf einen verstohlenen Blick zur Tür und versuchte abzuschätzen, wie schnell sich die drohenden Wolken wohl ihrer Schneebürde entledigen würden.
Im Freien waren Schritte und gedämpfte Worte zu hören; aus den umliegenden Talmulden waren noch mehr Menschen gekommen, die sich jetzt um die Tür drängten. Ich fing das Wort dèan caithris auf, das in fragendem Ton fiel, und plötzlich wurde mir klar, was hier so seltsam war.
Es gab keine Totenwache. Normalerweise hätte man die Tote gewaschen und zurechtgemacht, sie dann aber ein oder zwei Tage aufgebahrt, damit alle Bewohner der Gegend Gelegenheit zu einem Beileidsbesuch bekamen. Ich hörte angestrengt zu und fing einen deutlichen Ton der Verstimmung
und Überraschung auf – die Nachbarn empfanden diese Hast als unziemlich.
»Was ist mit der Totenwache?«, flüsterte ich Jamie zu. Er zog eine Schulter kaum merklich hoch, wies aber kopfnickend zur Tür und auf den bedeckten Himmel draußen.
»Bevor es Abend wird, wird es eine Menge Schnee geben, a Sorcha «, sagte er. »Und wie es aussieht, schneit es wahrscheinlich noch tagelang weiter. Bei dem Wetter würde ich auch nicht gern ein Grab schaufeln und einen Sarg beerdigen müssen. Und wenn es mehrere Tage lang schneit, wohin sollen sie dann mit der Leiche?«
»Das stimmt, Mac Dubh «, sagte Kenny Lindsay, der ihn hörte. Er warf einen Blick auf die Leute, die um uns herumstanden, dann schob er sich dichter an uns heran und senkte die Stimme. »Aber es stimmt auch, dass Hiram Crombie keine großen Gefühle für die alte Schach- äh, seine Schwiegermutter hegt.« Er hob sein Kinn ein Stückchen, um auf die Verstorbene zu deuten. »Man erzählt sich, dass er die Alte gar nicht schnell genug unter die Erde bekommen kann – bevor sie es sich anders überlegt, aye?« Er grinste kurz, und Jamie senkte den Blick, um sich sein Lächeln nicht
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