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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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mit ansehen konnte, doch ich konnte die Ohren nicht verschließen, und so hastete die Gemeinde den Psalm durch und verstummte, um dann voll mürrischer Geduld abzuwarten, bis Roger holpernd das Ende erreichte. Was er auch hartnäckig tat.
    »Amen«, sagte Jamie laut. Und als Einziger. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass uns alle anstarrten. Die Mienen reichten von nachsichtiger Überraschung bis hin zu unterdrückter Feindseligkeit. Jamie holte tief Luft und atmete sehr langsam wieder aus.
    »Lieber Himmel«, sagte er ganz leise.
    Eine Schweißperle rann Roger über die Wange, und er wischte sie mit dem Rockärmel fort.
    »Möchte jemand noch ein paar Worte über die Verstorbene sagen?«, fragte er und musterte ein Gesicht nach dem anderen. Ihm antworteten nur Schweigen und das Heulen des Windes.
    Er räusperte sich, und jemand kicherte.
    »Oma -«, flüsterte Jemmy und zupfte an meinem Rock.
    »Schh.«
    »Aber Oma -« Sein drängender Ton brachte mich dazu, mich umzudrehen und zu ihm hinunterzusehen.
    »Musst du pinkeln?«, flüsterte ich und bückte mich. Er schüttelte den Kopf, so heftig, dass sein dichtes, rotgoldenes Haar auf seiner Stirn hin und her flog.
    »O Gott, unser himmlischer Vater, der uns durch den Wandel der Zeiten zur gesegneten Rast der Ewigkeit führt, sei uns nun nahe zu unserem Trost und unserer Stütze.«
    Ich sah hoch und verfolgte, dass Roger seine Hand wieder auf der Leiche liegen hatte. Offenbar hatte er beschlossen, zum Ende zu kommen. Die Erleichterung in seinem Gesicht und seiner Stimme ließ darauf schließen, dass er sich jetzt auf bekannte Zeilen aus dem Gebetbuch verlegt hatte, die ihm so vertraut waren, dass er sie auch auf Gälisch hinreichend fließend hinbekam.
    »Schenk uns das Wissen, dass Deine Kinder vor Deinem Auge kostbar sind…« Er hielt inne und musste sichtlich kämpfen; seine Halsmuskeln bewegten sich vergeblich, um die Verstopfung lautlos zu beseitigen, doch es nützte nichts.
    »Err … HRRM!« Ein Geräusch, das verdächtig an Gelächter erinnerte, durchlief das Zimmer, und in Briannas Kehle grollte es wie ein Vulkan, der kurz davor stand, Lava zu speien.
    »Oma!«

    »Schh!«
    »… kostbar sind. Dass sie… ewig bei Dir leben, und dass Deine Gnade -«
    »Oma!«
    Jemmy wand sich, als hätte sich eine ganze Ameisenkolonie in seiner Hose niedergelassen, und seine Miene war beinahe qualvoll drängend.
    »Eine Sekunde «, zischte ich. »Ich gehe sofort mit dir nach drau-«
    »Nein, Oma! Sieh doch!«
    Ich folgte seinem ausgestreckten Finger und dachte im ersten Moment, er zeigte auf seinen Vater. Doch das tat er nicht.
    Die alte Mrs. Wilson hatte die Augen geöffnet.
     
    Es folgte ein Moment völliger Lautlosigkeit, und sämtliche Blicke richteten sich gleichzeitig auf Mrs. Wilson. Dann schnappte alles kollektiv nach Luft und trat instinktiv einen Schritt zurück, und es erhob sich das Gezeter derjenigen, denen auf die Zehen getreten oder die gegen die unnachgiebigen Baumstämme der Wände gedrängt wurden.
    Jamie hob Jemmy gerade noch rechtzeitig auf, um zu verhindern, dass er zertrampelt wurde, holte tief Luft und brüllte aus tiefster Kehle »Sheas!« Er war so laut, dass die Menge tatsächlich kurz erstarrte – immerhin so lange, bis er Jemmy an Brianna übergeben und sich zum Tisch durchgeboxt hatte.
    Roger hatte die ehemalige Leiche zu fassen bekommen und half ihr zum Sitzen auf, während ihre Hand schwach nach der Bandage an ihrem Kinn schlug. Ich schob mich hinter Jamie her und schubste die Leute rücksichtslos aus dem Weg.
    »Lasst sie doch bitte zu Atem kommen«, sagte ich laut. Das verblüffte Schweigen wich jetzt zunehmend aufgeregtem Gemurmel, das jedoch verstummte, als ich mich daranmachte, die Bandage zu entfernen. Das ganze Zimmer wartete bebend vor Erwartung, als die Leiche ihre steifen Kiefer bewegte.
    »Wo bin ich?«, sagte sie mit bebender Stimme. Ihr Blick wanderte ungläubig durch das Zimmer und heftete sich schließlich auf das Gesicht ihrer Tochter.
    »Mairi?«, sagte sie argwöhnisch, und Mrs. Crombie hastete an ihre Seite, fiel auf die Knie, brach in Tränen aus und nahm ihre Mutter an den Händen.
    »A Màthair! A Màthair!« , rief sie aus. Die Alte legte ihrer Tochter zitternd die Hand auf das Haar und sah aus, als sei sie sich nicht ganz sicher, dass sie echt war.
    Ich hatte mir unterdessen alle Mühe gegeben, die Verfassung der alten Dame zu überprüfen, die zwar nicht brillant, aber auch nicht schlecht war für jemanden, der

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