Ein Hauch von Schnee und Asche
würde – und das Letzte, was er wollte, war mit einer Whiskyfahne in einer Beerdigungsgesellschaft hundertprozentiger Abstinenzler aufzutauchen.
»Essig«, riet ihm Mrs. Bug, die sich über ihn beugte, um seinen Teller abzuräumen. »Heißer Essig ist das Beste. Verdünnt den Schleim, aye?«
»Darauf möchte ich wetten«, sagte Roger und lächelte trotz seiner Beschwerden. »Trotzdem lieber nicht, Mrs. Bug, danke.« Er war mit leichten Halsschmerzen aufgewacht und hatte gehofft, dass das Frühstück sie heilen würde. Das war nicht der Fall, und allein schon bei der Vorstellung, heißen Essig zu trinken, schwollen seine Mandeln an.
Stattdessen hielt er seine Tasse hoch, um sich noch Zichorienkaffee nachschenken zu lassen, und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
»Gut – weiß jemand irgendetwas über die alte Mrs. Wilson?«
»Sie ist tot«, meldete sich Jemmy selbstsicher zu Wort. Alle lachten, und Jemmy zog ein verwirrtes Gesicht, fiel dann aber in das Gelächter ein, obwohl er eindeutig nicht die geringste Ahnung hatte, was denn so komisch war.
»Ein guter Anfang, Kumpel.« Roger streckte die Hand aus und strich Jemmy die Krümel vom Hemd. »Es könnte sogar etwas daran sein. Der Reverend hatte eine schöne Predigt über eine Stelle in den Paulusbriefen – der Lohn der Sünde ist der Tod, aber Gottes Geschenk ist ewiges Leben. Ich habe sie mehr als einmal gehört. Was meinst du?« Er sah Brianna mit hochgezogener Augenbraue an. Sie runzelte nachdenklich die Stirn und griff nach der Bibel.
»Das klingt passend. Hat diese Bibel eine Konkordanz?«
»Nein.« Jamie stellte seine Kaffeetasse hin. »Aber es ist im sechsten Kapitel des Römerbriefs.« Als er die überraschten Blicke sah, die sich auf ihn richteten, errötete er leicht und wies mit einem Ruck seines Kopfes auf die Bibel.
»Ich hatte dieses Buch im Gefängnis«, sagte er. »Ich habe es gelesen. Dann komm, a bhailach , bist du jetzt fertig?«
Das Wetter war finster; niedrig hängende Wolken drohten mit allem, was zwischen Eisregen und dem ersten Schnee des Herbstes möglich war, und dann und wann fing sich ein kalter Windstoß in Umhängen und Röcken und
blähte sie wie Segel. Die Männer hielten ihre Hüte fest, und die Frauen verkrochen sich tief in ihren Kapuzen. Alle gingen mit gesenkten Köpfen wie die Schafe, die hartnäckig dem Wind trotzen.
»Tolles Wetter für eine Beerdigung«, murmelte Brianna nach einem solchen Windstoß und zog ihren Umhang fest um sich.
»Mmpfm.« Roger antwortete ihr automatisch; offenbar war ihm nicht bewusst, was sie gesagt hatte, nur, dass sie etwas gesagt hatte. Er hatte die Stirn gerunzelt, und sein Gesicht sah verkrampft und bleich aus. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und drückte ihn beruhigend, und er sah sie schwach lächelnd an, und seine Miene entspannte sich.
Ein gespenstisches Heulen durchschnitt die Luft, und Brianna erstarrte und klammerte sich an Rogers Arm. Das Geräusch steigerte sich zu einem Kreischen, löste sich in eine Reihe kurzer, abgehackter Schluckgeräusche auf und absolvierte dann eine schluchzende Tonleiter wie eine Leiche, die eine Treppe herunterrollt.
Gänsehaut breitete sich auf ihrem Rücken aus, und ihr Magen verkrampfte sich. Sie sah Roger an; er sah beinahe genauso blass aus, wie sie sich fühlte, obwohl er ihr beruhigend die Hand drückte.
»Das ist wohl die bean-treim «, bemerkte ihr Vater in aller Ruhe. »Ich wusste gar nicht, dass wir hier eine haben.«
»Ich auch nicht«, sagte ihre Mutter. »Was meinst du, wer das ist?« Auch sie war bei dem Geräusch erschocken zusammengefahren, doch jetzt schien sie nur noch neugierig zu sein.
Roger hatte ebenfalls die Luft angehalten; jetzt atmete er mit einem leisen Rasseln aus und räusperte sich.
»Ein Klageweib«, sagte er. Die Worte klangen belegt, und er räusperte sich noch einmal, diesmal fester. »Sie, äh, jammern. Hinter dem Sarg.«
Die Stimme erhob sich erneut im Wald, und diesmal klang das Geräusch kontrollierter. Brianna glaubte, Worte unter den Jammerlauten zu hören, konnte sie aber nicht ausmachen. Wendigo. Das Wort fiel ihr ungebeten ein, und sie erschauerte krampfhaft. Jemmy versuchte wimmernd, sich im Rock seines Großvaters zu verkriechen.
»Du brauchst keine Angst davor zu haben, a bhailach .« Er tätschelte Jemmys Rücken. Jemmy schien nicht überzeugt zu sein und steckte den Daumen in den Mund. Er kuschelte sich mit großen Augen an Jamies Brust, als das Heulen in Stöhnlaute
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