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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bekam.
    »Ute! Frau McGillivray! Hört mir doch -«
    Beim zweiten Mal war sie erfolgreicher; sie bekam den losen Ärmel meines Nachthemdes zu fassen, zerrte daran und zog es mir von der Schulter. Ich konnte hören, wie der Stoff riss, während sie mit der freien Hand auf mein Gesicht einkratzte.
    Ich fuhr zurück und schrie aus voller Kehle, als sich meine Nerven eine schreckliche Sekunde lang an eine Hand erinnerten, die nach meinem Gesicht schlug, Hände, die an mir zerrten …
    Ich schlug nach ihr, und das Entsetzen verlieh mir Kraft. Ich schrie und schrie, während mich ein letzter Rest rationalen Denkens in meinem Gehirn dabei beobachtete, verwundert, angewidert – aber völlig unfähig, die instinktive Panik, die blinde Wut zu bremsen, die wie ein Geysir aus einer tiefen, unvermuteten Quelle aufschoss.
    Ich hämmerte weiter blind auf sie ein, schrie – und fragte mich zur selben Zeit: Warum, warum tat ich das?
    Ein Arm packte mich um die Taille und hob mich vom Boden auf. Eine neue Welle der Panik schoss durch mich hindurch, und dann fand ich mich plötzlich allein, unbehelligt. Ich stand trunken, schwankend und keuchend in der Ecke neben dem Kleiderschrank. Jamie stand vor mir, die Schultern angespannt und die Ellbogen erhoben, und schirmte mich ab.
    Er redete, sehr ruhig, doch die Fähigkeit, Worte zu verstehen, war mir abhanden gekommen. Ich presste meine Hände hinter mir an die Wand, und das Bollwerk in meinem Rücken wirkte beruhigend.
    Das Herz hämmerte mir in den Ohren, und meine Atemgeräusche machten mir Angst, weil sie mich so an mein Keuchen erinnerten, nachdem mir Harley Boble die Nase gebrochen hatte. Ich schloss mit aller Kraft den Mund und versuchte, damit aufzuhören. Es schien zu helfen, wenn ich die Luft anhielt und nur ganz flach durch meine jetzt wieder funktionstüchtige Nase einatmete.
    Mir fiel auf, dass Ute die Lippen bewegte, und ich starrte sie an, während ich versuchte, mich wieder in Raum und Zeit einzuordnen. Ich hörte Worte, schaffte jedoch noch nicht den Schritt, sie zu verstehen. Ich atmete, ließ die Worte wie Wasser über mich hinwegfließen und filterte nur die Gefühle heraus – Wut, Vernunft, Protest, Besänftigung, Kreischen, Grollen -, nicht aber ihre eigentliche Bedeutung.
    Dann holte ich tief Luft, wischte mir über das Gesicht – das zu meiner Überraschung nass war -, und mit einem Schlag war alles wieder normal. Ich konnte hören und verstehen.
    Ute starrte mich an. Wut und Abneigung standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, wurden jedoch von unterschwelligem Entsetzen gedämpft.

    »Ihr seid wahnsinnig«, sagte sie und nickte. »Ich verstehe.« Jetzt klang sie beinahe ruhig. »Also schön.«
    Sie wandte sich Jamie zu und zwirbelte dabei mechanisch ihr wirres blondes Haar hoch, um es unter ihre gigantische Haube zu stecken. Deren Spitzenkante war halb abgerissen und hing ihr in einer absurden Schlaufe über dem Auge.
    »Sie hat also den Verstand verloren. Das sehe ich ein… aber dennoch, mein Sohn – mein Sohn! – ist fort. Also.« Sie stand keuchend da, betrachtete mich kopfschüttelnd und wandte sich dann erneut Jamie zu.
    »Salem steht Euch nicht mehr offen«, sagte sie knapp. »Meine Familie, jeder, der uns kennt – sie werden keinen Handel mehr mit Euch treiben. Und auch sonst niemand, dem ich von ihrer Bosheit erzählen kann.« Ihr Blick wanderte wieder zu mir zurück, ein eisig kaltes Blau, und ihre Lippen verzogen sich unter der Spitzenschlaufe zu einem Hohnlächeln.
    »Ihr seid Gemiedene«, sagte sie. »Ihr existiert nicht mehr.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging, so dass Ian und Rollo gezwungen waren, ihr hastig aus dem Weg zu gehen. Ihre Schritte hallten auf der Treppe wider, ein schwerfälliger, gemessener Gang wie das Schlagen einer Totenglocke.
    Ich sah, wie sich Jamies Schultern Stück für Stück entspannten. Er war immer noch im Nachthemd – er hatte eine feuchte Stelle zwischen den Schulterblättern – und hatte immer noch die Pistole in der Hand.
    Unten knallte die Haustür zu. Alle standen wie vom Donner gerührt schweigend da.
    »Du hättest doch nicht wirklich auf sie geschossen, oder?«, fragte ich und räusperte mich.
    »Was?« Er wandte sich um und starrte mich an. Dann sah er meine Blickrichtung und betrachtete die Pistole in seiner Hand, als fragte er sich, woher sie gekommen war.
    »Oh«, sagte er. »Nein«, und schüttelte den Kopf, während er den Arm ausstreckte, um sie wieder auf den Schrank zu legen. »Ich

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