Ein Hauch von Schnee und Asche
Knien.
»Ich konnte kein Laudanum finden, Missus«, murmelte Angelina mir mit einem angstvollen Blick auf Jocasta zu. »Ich weiß nicht, wer es an sich genommen haben könnte – es hat niemand einen Schlüssel außer Mr. Ulysses und Miss Cameron selbst.«
»Dann hat dich Ulysses in die Arzneikammer gelassen – und er weiß, dass Mrs. Cameron krank ist?«
Sie nickte so heftig, dass das Band auf ihrer Haube flatterte.
»O ja, Missus! Er wäre außer sich, wenn er es herausfände und ich ihm nichts gesagt hätte. Er sagt, ich soll ihn sofort holen, wenn sie nach ihm verlangt – sonst soll ich Miss Cameron sagen, sie soll sich keine Sorgen machen, er kümmert sich um alles.«
Bei diesen Worten entfuhr Jocasta ein langer Seufzer, und ihre geballten Fäuste entspannten sich ein wenig.
»Gott segne den Mann«, murmelte sie mit geschlossenen Augen. »Er wird sich um alles kümmern. Ohne ihn wäre ich verloren. Verloren.«
Ihr weißes Haar war an den Schläfen nass, und von den Enden der Strähnen, die auf ihrer Schulter lagen, tropfte der Schweiß und bildete Flecken auf der dunkelblauen Seide ihres Kleides.
Angelina löste die Schnüre des Kleides und zog es ihr aus. Dann bat ich Jamie, sie im Hemd auf das Bett zu legen, und wir umgaben ihren Kopf mit einer dicken Schicht aus Handtüchern. Ich füllte eine meiner Klapperschlangenspritzen mit dem warmen Salzwasser, und während Jamie ihr vorsichtig die Augenlider auseinander hielt, konnte ich das Auge sanft ausspülen, um so hoffentlich eine Entzündung der Nadelstichwunde zu verhindern. Die Wunde selbst war als kleiner roter Fleck auf der Lederhaut zu sehen, über dem sich ein kleines Bläschen im Bindegewebe gebildet hatte. Ich merkte, dass Jamie nicht hinsehen konnte, ohne zu blinzeln, und lächelte.
»Es wird alles gut«, sagte ich. »Du kannst gehen, wenn du möchtest.«
Jamie nickte und wandte sich zum Gehen, doch Jocastas Hand schoss vor und hielt ihn zurück.
»Nein, bleib hier, a chuisle – bitte.« Das letzte Wort fügte sie nur der Form halber hinzu; sie hatte ihn so fest am Ärmel gepackt, dass ihre Finger weiß wurden.
»Aye, Tante Jocasta, natürlich«, sagte er geduldig und legte seine Hand
auf die ihre, um sie beruhigend zu drücken. Dennoch ließ sie ihn erst los, als er sich neben sie gesetzt hatte.
»Wer ist sonst noch hier?«, fragte sie und drehte den Kopf nervös hin und her, um die Atem- und Bewegungsgeräusche hören zu können, die es ihr verraten würden. »Sind die Sklaven fort?«
»Ja, sie sind wieder unten, um beim Bedienen zu helfen«, sagte ich zu ihr. »Nur Jamie und ich sind noch hier.«
Sie schloss die Augen und holte tief und erschauernd Luft. Erst jetzt begann sie, sich ein wenig zu entspannen.
»Gut. Ich muss dir etwas erzählen, Neffe, und niemand anders darf es hören. Nichte -«, sie zeigte mit ihrer langen weißen Hand auf mich, »- bitte sieh nach, ob wir wirklich allein sind.«
Ich ging gehorsam zur Tür, um in den Flur zu spähen. Es war niemand zu sehen, obwohl aus einem Zimmer im selben Flur Stimmen kamen – Gelächter und lautes Rascheln und Rumpeln, denn ein paar plaudernde junge Frauen arrangierten sich dort Haar und Kleider neu. Ich zog den Kopf wieder ein und schloss die Tür, worauf sich die Geräusche des restlichen Hauses zu einem fernen Grollen abschwächten.
»Was ist denn, Tante Jocasta?« Jamie hielt ihr immer noch die Hand und streichelte ihr mit dem Daumen in beruhigendem Rhythmus den Handrücken, wie er es oft bei nervösen Tieren tat. Bei seiner Tante war dies allerdings weniger wirksam als bei den meisten Pferden oder Hunden.
»Es war der Mann. Er ist hier!«
»Wer ist hier, Tante Jocasta?«
»Ich weiß es nicht!« Sie rollte verzweifelt mit den Augen, als versuchte sie vergeblich, nicht nur in der Finsternis zu sehen, sondern auch durch Wände zu blicken.
Jamie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, doch er konnte genauso gut wie ich sehen, dass sie nicht fantasierte, auch wenn sie sich wirr anhörte. Sie begriff, wie sie klingen musste; ich konnte die Anstrengung in ihrem Gesicht sehen, als sie sich zusammenriss.
»Er ist wegen des Goldes hier«, sagte sie und senkte die Stimme. »Das Franzosengold.«
»Oh, aye?«, sagte Jamie vorsichtig. Er warf mir einen raschen Blick zu, doch ich signalisierte ihm: Sie halluziniert mit Sicherheit nicht.
Jocasta seufzte ungeduldig und schüttelte den Kopf, dann hielt sie abrupt inne, stieß einen unterdrückten Schmerzenslaut aus und fasste
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