Ein Hauch von Schnee und Asche
seiner Blickrichtung, doch er war bereits an mir vorbei, und ich beeilte mich, um ihn einzuholen.
Es war Jocasta, weiß wie Milch und so verwirrt, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie stand unsicher schwankend in der Seitentür und wäre womöglich hingefallen, wenn Jamie nicht zu ihr getreten wäre und sie rasch gepackt hätte, indem er ihr den Arm um die Taille legte, um sie zu stützen.
»Himmel, Tante Jocasta. Was ist denn?« Er sprach leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und ging dabei mit ihr zurück ins Haus.
»O Gott, o gütiger Gott, mein Kopf«, flüsterte sie und breitete die Hand über ihr Gesicht wie eine Spinne, so vorsichtig, dass ihre Finger die Haut kaum berührten und ihr linkes Auge bedeckt war. »Mein Auge.«
Die Leinenbinde, die sie in der Öffentlichkeit über den Augen trug, war zerknittert und hatte feuchte Flecken; Tränen liefen darunter hervor, aber sie weinte nicht. Lakrimation; das eine Auge tränte heftig. Beide Augen nässten, das linke jedoch sehr viel schlimmer; hier war der Rand der Leinenbinde nass, und Feuchtigkeit glänzte auf ihrer Wange.
»Ich muss ihr Auge untersuchen«, sagte ich zu Jamie. Ich berührte seinen Ellbogen und sah mich vergeblich nach einem der Bediensteten um. »Bring sie in ihr Wohnzimmer.« Es lag uns am nächsten, und sämtliche Gäste waren entweder draußen oder tapsten durch den Salon, um den Spiegel des Prinzen zu besichtigen.
»Nein!« Es war fast ein Schrei. »Nein, nicht dorthin!«
Jamie sah mich an und zog eine Augenbraue verwundert hoch, sprach aber beruhigend auf sie ein.
»Nein, Tante Jocasta, es ist ja schon gut. Ich bringe dich auf dein eigenes Zimmer. Dann komm.« Er bückte sich und hob sie hoch, als sei sie ein Kind, und ihre Seidenröcke fielen ihm mit dem Geräusch rauschenden Wassers über den Arm.
»Bring sie nach oben; ich komme sofort.« Ich hatte gerade gesehen, wie die Sklavin namens Angelina den Flur am anderen Ende überquerte, und beeilte mich, sie einzuholen. Ich erteilte ihr meine Anweisungen, dann eilte ich zur Treppe zurück – und hielt unterwegs kurz inne, um einen Blick in das kleine Wohnzimmer zu werfen.
Es war niemand dort, obwohl die im ganzen Zimmer verstreuten Punschbecher und der starke Pfeifentabaksgeruch darauf hindeutete, dass Jocasta vor nicht allzu langer Zeit dort Hof gehalten hatte. Ihr Handarbeitskorb stand offen, eine angefangene Strickarbeit hing halb heraus und baumelte verlassen wie ein totes Kaninchen über seinen Rand.
Kinder vielleicht, dachte ich; es waren auch mehrere Wollknäuel herausgezogen und lagen verstreut und ausgerollt auf dem Parkettboden. Ich zögerte – kam aber nicht gegen meinen Instinkt an, und so hob ich die Knäuel
hastig auf und ließ sie wieder in den Korb fallen. Ich stopfte die Strickarbeit obenauf, riss meine Hand aber mit einem Ausruf zurück.
Aus einem kleinen Schnitt an der Seite meines Daumens quoll Blut. Ich steckte ihn in den Mund und sog fest daran, um Druck auf die Wunde auszuüben; unterdessen tastete ich mit der anderen Hand vorsichtig in den Tiefen des Korbs herum, um zu sehen, woran ich mich geschnitten hatte.
Ein Messer, klein, aber praktisch. Wahrscheinlich diente es zum Abschneiden von Stickgarn; seine Lederscheide lag lose am Boden des Korbs. Ich ließ das Messer in seine Scheide zurückgleiten, ergriff das Nadeletui, das ich eigentlich gesucht hatte, und schloss den Faltdeckel des Korbs, bevor ich zur Treppe hastete.
Allan MacDonald hatte seine kurze Atempause in seiner Ansprache eingelegt; draußen erschollen lautes Klatschen und gälische Beifallsrufe.
»Verdammte Schotten«, murmelte ich vor mich hin. »Lernt ihr eigentlich nie ?«
Doch ich hatte keine Zeit, um über die möglichen Folgen der Unruhestiftung durch die MacDonalds nachzudenken. Als ich das obere Ende der Treppe erreichte, folgte mir ein Sklave, der unter dem Gewicht meiner Arzttruhe ächzte, dicht auf dem Fuße, eine andere Sklavin machte sich gerade unten vor der Küche etwas vorsichtiger mit einer Schüssel heißen Wassers auf den Weg.
Jocasta saß vornübergekrümmt auf ihrem großen Sessel und stöhnte. Ihre Lippen waren so fest zusammengepresst, dass sie nicht zu sehen waren. Ihre Haube hatte sich gelöst, und sie fuhr sich unablässig mit beiden Händen durch das wirre Haar, als suchte sie hilflos nach etwas, woran sie sich festhalten konnte. Jamie strich ihr über den Rücken und murmelte auf Gälisch auf sie ein; bei meinem Eintreten blickte er sichtlich
Weitere Kostenlose Bücher