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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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sich mit beiden Händen an den Kopf, als wollte sie ihn auf ihren Schultern festhalten.
    Sie atmete ein paar Sekunden tief durch und presste die Lippen fest zusammen. Dann ließ sie die Hände langsam sinken.
    »Es hat letzte Nacht angefangen«, sagte sie. »Die Schmerzen in meinem Auge.«

    Sie war in der Nacht aufgewacht, weil ihr Auge pochte, ein dumpfer Schmerz, der langsam auf die Seite ihres Kopfes übergriff.
    »Es war nicht das erste Mal«, erklärte sie. Sie hatte sich jetzt zum Sitzen aufgerichtet, das warme Tuch wieder ergriffen und an ihr Auge gedrückt und sah allmählich etwas besser aus. »Es hat angefangen, als mein Augenlicht schwächer wurde. Manchmal war es ein Auge, manchmal beide. Aber ich wusste, was auf mich zukam.«
    Doch Jocasta MacKenzie Cameron Innes war keine Frau, die sich von einer körperlichen Indisponiertheit ihre Pläne durchkreuzen ließ, ganz zu schweigen davon, dem vielversprechendsten gesellschaftlichen Ereignis in die Quere zu kommen, das Cross Creek je gesehen hatte.
    »Ich war so entgeistert«, sagte sie. »Wo ich doch Miss Flora MacDonald erwartete!«
    Aber sämtliche Vorbereitungen waren schon getroffen; das Barbecue röstete in den Gruben, neben den Ställen stand das Bier in Fässern bereit, und die Luft war von den Düften nach Bohnen und heißem Brot aus dem Küchenhaus erfüllt. Die Sklaven waren bestens instruiert, und sie hatte volles Vertrauen, dass Ulysses sich um alles kümmern würde. Alles, was sie tun musste, so dachte sie, war, auf den Füßen zu bleiben.
    »Ich wollte kein Opium oder Laudanum nehmen«, erklärte sie. »Sonst wäre ich mit Sicherheit eingeschlafen. Also habe ich mir mit Whisky beholfen.«
    Sie war eine stattliche Frau, die es gewohnt war, Alkoholmengen zu sich zu nehmen, die manchen modernen Mann in die Knie gezwungen hätten. Zu dem Zeitpunkt, als die MacDonalds eintrafen, hatte sie fast eine ganze Flasche getrunken – doch der Schmerz nahm ständig zu.
    »Und dann hat mein Auge so heftig zu tränen begonnen, dass jeder gesehen hätte, dass etwas nicht stimmte, und das wollte ich nun wirklich nicht. Also bin ich in mein Wohnzimmer gegangen; ich hatte vorsichtshalber ein Fläschchen Laudanum in meinen Handarbeitskorb gesteckt, falls der Whisky nicht reichte. Draußen wimmelte es vor Menschen, die alle versuchten, einen Blick auf Miss MacDonald zu erhaschen oder ein Wort mit ihr zu wechseln, aber das Wohnzimmer war verlassen, soweit ich das mit meinem hämmernden Kopf und meinem kurz vor dem Bersten stehenden Auge beurteilen konnte.« Sie sprach die letzten Worte ganz beiläufig, doch ich sah Jamie zusammenzucken, denn die Erinnerung an das, was ich mit der Nadel gemacht hatte, war offenbar noch frisch. Er schluckte und wischte sich mit dem Handrücken fest über den Mund.
    Jocasta hatte rasch die Laudanumflasche hervorgeholt und ein paar Schlucke getrunken, dann hatte sie einen Moment dagesessen und darauf gewartet, dass die Wirkung eintrat.
    »Ich weiß nicht, ob du schon einmal Laudanum genommen hast, Jamie, aber es wird einem sehr seltsam davon zumute, als ob man beginnt, sich an
den Rändern aufzulösen. Trinkt man einen Tropfen zu viel, fängt man an, Dinge zu sehen, die gar nicht da sind – blind oder nicht – und sie auch zu hören.«
    Unter dem Einfluss von Laudanum und Alkohol und im Lärm der Menge draußen hatte sie keine Schritte bemerkt, und als die Stimme dicht neben ihr sprach, hatte sie im ersten Moment gedacht, es wäre eine Halluzination.
    » ›Hier seid Ihr also, Liebes‹ , hat er gesagt«, zitierte sie, und ihr sowieso schon blasses Gesicht erbleichte bei dieser Erinnerung noch weiter. »›Wisst Ihr noch, wer ich bin?‹«
    »Ich nehme an, du wusstest es, Tante Jocasta?«, fragte Jamie trocken.
    »Ja«, erwiderte sie genauso trocken. »Ich hatte diese Stimme schon zweimal gehört. Einmal beim Gathering , als deine Tochter geheiratet hat – und davor vor über zwanzig Jahren in einem Wirtshaus bei Coigach in Schottland.«
    Sie nahm das feuchte Tuch von ihrem Gesicht und legte es zielsicher zurück in die Schüssel mit warmem Wasser. Ihre Augen, die rot und geschwollen waren, hoben sich wund von ihrer blassen Haut ab und sahen in ihrer Blindheit furchtbar verletzlich aus – doch sie hatte sich wieder im Griff.
    »Aye, ich kannte ihn«, wiederholte sie.
    Sie hatte sofort gewusst, dass sie die Stimme kannte – sie aber im ersten Moment nicht einordnen können. Dann hatte sie schlagartig begriffen und ihre Sessellehne

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