Ein Hauch von Schnee und Asche
irgendwo verschwunden. Überall um sie herum ließen sich Familien für die Nacht nieder und bauten sich Nester im Heu. Einige waren im Haus, einige mehr in der Scheune; von irgendwo hinter dem Haus konnte sie die Klänge einer Gitarre hören und eine einzelne Stimme, die etwas Langsames, Wehmütiges sang. Plötzlich sehnte sie sich nach dem Klang von Rogers Stimme, die so voll und sanft gewesen war.
Doch bei diesem Gedanken fiel ihr etwas auf; seine Stimme hatte viel besser
geklungen, als er von seinem Trostbesuch bei Ronnie zurückkehrte. Sie war immer noch heiser gewesen, und es hatte nur ein Hauch ihrer früheren Resonanz darin gelegen – doch sie hatte entspannt geklungen, ohne diesen erstickten Unterton. Möglicherweise entspannte Alkohol die Stimmbänder? Wahrscheinlicher, so dachte sie, dass er schlicht Roger entspannte; ihm einige seiner Hemmungen in Bezug darauf nahm, wie er sich anhörte. Das war gut zu wissen. Ihre Mutter war der Meinung, dass sich seine Stimme bessern würde, wenn er sie anstrengte, daran arbeitete – doch er scheute sich, sie zu benutzen, hatte Angst vor Schmerzen, ob es ihn nun tatsächlich beim Sprechen schmerzte oder ob er einfach den Vergleich zum früheren Klang seiner Stimme nicht ertragen konnte.
»Also mache ich ihm vielleicht ein wenig Kirschlikör«, sagte sie laut. Dann warf sie einen Blick auf die beiden schlummernden Gestalten im Heu und malte sich aus, wie es sein würde, am Morgen neben drei verkaterten Männern aufzuwachen. »Oder vielleicht auch lieber nicht.«
Sie häufte genug Heu für ein Kopfkissen auf, breitete ihr zusammengefaltetes Halstuch darüber – sie würden morgen den ganzen Tag Heu aus ihren Kleidern picken – und legte sich an Jemmy geschmiegt nieder. Wenn sich einer der Jungen im Schlaf rührte oder übergab, würde sie es merken und wach werden.
Das Lagerfeuer war jetzt niedergebrannt; es huschte nur noch ein flackernder Saum aus Feuer über die glühenden Kohlen, und die Laternen, die auf dem ganzen Hof standen, waren alle ausgegangen oder aus Sparsamkeit gelöscht worden. Gitarre und Sänger waren verstummt. Jetzt, da der Schutzwall aus Licht und Geräuschen fehlte, kam die Nacht heran und breitete Flügel aus kalter Stille über den Berg. Die Sterne über ihr brannten hell, doch sie waren nur Stecknadelköpfe, Jahrtausende entfernt. Sie schloss die Augen vor der Unendlichkeit der Nacht und beugte den Kopf vor, um ihre Lippen auf Jems Kopf zu drücken und seine Wärme festzuhalten.
Sie versuchte, ihre Gedanken für den Schlaf zu ordnen, doch jetzt, da sie nicht mehr durch Gesellschaft abgelenkt war und sie der kräftige Geruch brennenden Holzes umhüllte, stahl sich die Erinnerung zurück, und ihr normales segnendes Nachtgebet verwandelte sich in eine flehende Bitte um Gnade und Schutz.
»Er hat meine Brüder fern von mir getan, und meine Verwandten sind mir fremd geworden. Meine Nächsten haben sich entzogen, und meine Freunde haben mein vergessen.«
Ich werde euch nicht vergessen , sagte sie schweigend zu den Toten. Die Worte kamen ihr erbärmlich vor – so klein und vergeblich. Und doch das Einzige, was in ihrer Macht lag.
Sie erschauerte kurz und nahm Jemmy fester in den Arm.
Ein plötzliches Rascheln im Heu, und Roger legte sich neben sie. Er breitete umständlich seinen Mantel über sie, dann seufzte er erleichtert, legte ihr
den Arm um die Taille, und sein Körper entspannte sich vollständig neben ihr.
»Das war ein verflucht langer Tag, nicht wahr?«
Sie pflichtete ihm leise stöhnend bei. Jetzt, da alles still war und es nicht mehr nötig war zu reden, zuzuhören und konzentriert zu sein, schien jede Faser ihrer Muskeln vor Erschöpfung kurz vor der Auflösung zu stehen. Es trennte sie nur eine dünne Lage Heu vom kalten, harten Boden, doch sie spürte, wie der Schlaf sie umspülte wie die Wellen der nahenden Flut, die tröstend und unausweichlich einen Sandstrand hinaufkriechen.
»Hast du etwas zu essen bekommen?« Sie legte ihm eine Hand aufs Bein, und sein Arm spannte sich automatisch an und hielt sie fest.
»Aye, wenn du Bier als Nahrungsmittel gelten lässt. Es gibt viele Leute, die das tun.« Er lachte, und ein warmer Hopfennebel lag in seinem Atem. »Mir fehlt nichts.« Seine Körperwärme kroch allmählich durch die Stoffschichten zwischen ihnen und vertrieb die Kühle der Nacht.
Jemmy strahlte beim Schlafen immer Hitze aus; ihn neben sich liegen zu haben war so, als hielte man ein Lehmöfchen fest. Doch Roger
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