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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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richtige Richtung dirigieren konnte. Doch zum Glück stand auf dem Teetablett auch ein Dekanter mit gutem Bordeaux, den ich ihm großzügig einschenkte.
    Ich versuchte also, ihn wieder auf medizinische Dinge zu bringen, indem ich mich über seinen Tisch beugte und die Gläser bewunderte, die er dort stehen gelassen hatte. Das Gefäß, das mir am nächsten stand, enthielt die Hand einer Person, die einen so fortgeschrittenen Fall von Dupuytren’scher Kontraktur hatte, dass die Hand kaum mehr war als ein Knoten aus verkrampften Fingern. Ich wünschte, Tom Christie könnte sie sehen.
    »Ist es nicht bemerkenswert, was für eine Vielzahl an krankhaften Zuständen der menschliche Körper an den Tag legen kann?«, sagte ich.
    Er schüttelte den Kopf. Ihm war aufgefallen, wie seine Perücke saß, und er drehte sie um; sein verwittertes Gesicht sah darunter aus wie das eines ernsten Schimpansen – abgesehen von der Ansammlung geplatzter Äderchen, die seine Nase glühen ließen wie ein Leuchtfeuer.
    »Bemerkenswert«, wiederholte er. »Und trotzdem, was genauso bemerkenswert ist, ist die Widerstandskraft, die ein Körper gegenüber schrecklichen Verwundungen an den Tag legen kann.«

    Das stimmte zwar, war aber ganz und gar nicht der Faden, den ich verfolgen wollte.
    »Ja, sehr. Aber -«
    »Es tut mir sehr Leid, dass ich Euch ein Stück nicht zeigen kann – es wäre eine bedeutende Ergänzung meiner Sammlung gewesen, das versichere ich Euch! Aber leider hat der Herr darauf bestanden, es selbst mitzunehmen.«
    »Er – was?« Nun, ich hatte schließlich in meiner eigenen Zeit diversen Kindern nach der Operation ihren Blinddarm oder ihre Mandeln in einer Flasche geschenkt. Wahrscheinlich war es wohl nicht allzu verrückt, wenn jemand eine amputierte Gliedmaße behalten wollte.
    »Ja, höchst erstaunlich.« Er trank nachdenklich einen Schluck Wein. »Es war ein Testikel – ich hoffe, Ihr verzeiht mir, dass ich davon spreche«, fügte er verspätet hinzu. Er zögerte einen Moment, doch am Ende konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, den Vorfall zu erzählen. »Der Herr war am Skrotum verletzt worden, ein höchst unglücklicher Unfall.«
    »Höchst«, sagte ich und spürte ein plötzliches Kribbeln am unteren Ende meiner Wirbelsäule. War das Jocastas mysteriöser Besucher? Ich hatte mich von dem Wein fern gehalten, um einen klaren Kopf zu behalten, schenkte mir jetzt aber einen Tropfen ein, da ich das Gefühl hatte, ihn brauchen zu können. »Hat er gesagt, wie sich dieses Unglück ereignet hat?«
    »Oh, ja. Ein Jagdunfall«, sagte er. »Aber das sagen sie schließlich alle, nicht wahr?« Er zwinkerte mir zu, und seine Nasenspitze leuchtete rot. »Ich gehe davon aus, dass es ein Duello war. Das Werk eines eifersüchtigen Rivalen vielleicht!«
    »Vielleicht.« Ein Duello ?, dachte ich mir. Aber die meisten Duelle fanden mit Pistolen und nicht mit Schwertern statt. Es war ein wirklich guter Bordeaux, und ich fühlte mich dank seiner etwas weniger wackelig. »Ihr habt – äh – den Testikel entfernt?« Das musste er ja, wenn er daran gedacht hatte, ihn seiner Gruselkollektion hinzuzufügen.
    »Ja«, sagte er und war noch nicht zu besäuselt, um bei der Erinnerung daran nicht mitfühlend zu erschauern. »Er hatte die Schussverletzung ernsthaft vernachlässigt; er sagte, er hätte sie sich einige Tage zuvor zugefügt. Ich war gezwungen, den verletzten Testikel zu entfernen, konnte aber den anderen glücklicherweise erhalten.«
    »Darüber ist er sicher erfreut gewesen.« Schussverletzung? Gewiss nicht , dachte ich. Das kann nicht sein … und doch … »Ist das vor kurzem geschehen?«
    »Mmm, nein.« Er kippte in seinem Sessel nach hinten und dachte so angestrengt nach, dass er leicht zu schielen begann. »Es war letztes Jahr im Frühling – Mai? Vielleicht im Mai.«
    »War der Name dieses Herrn zufällig Bonnet?« Ich war überrascht, dass meine Stimme vollkommen beiläufig klang. »Ich meine, ich hätte gehört, dass ein gewisser Stephen Bonnet in einen solchen … Unfall verwickelt war.«

    »Nun ja, wisst Ihr, er wollte mir seinen Namen nicht verraten. Das erlebe ich oft bei Patienten mit Verletzungen, die eine öffentliche Blamage zur Folge haben könnten. Ich bestehe in solchen Fällen nicht darauf.«
    »Aber Ihr erinnert Euch an ihn.« Mir wurde klar, dass ich auf der Kante meines Sessels saß und das Weinglas in der Faust umklammert hielt. Ich musste mich zwingen, es hinzustellen.
    »Mm-hmm.« Verdammt, er

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