Ein Hauch von Schnee und Asche
sie aus den Nähten des Männerhemdes geplatzt, das sie trug. Melanie und Miranda starrten sie mit großen Augen an. Ganz gleich, vor welcher Gefahr sich Melanie gefürchtet hatte, Miss Morton war es nicht.
»Hilfe würde ich nicht sagen«, sagte sie und trat noch einen Schritt weiter in die Apotheke. Sie legte den Kopf schief und betrachtete mich mit einem Ausdruck, der wie Faszination aussah. »Aber ich dachte, Ihr wisst vielleicht, wo das alte Stinktier Isaiah Morton ist.«
Mir klappte der Mund auf, und ich schloss ihn hastig wieder. Nicht Miss Morton also – Mrs. Morton. Die erste Mrs. Isaiah Morton nämlich. Isaiah Morton hatte im Regulatorenkrieg in Jamies Milizkompanie gekämpft, und er hatte seine erste Frau einmal erwähnt – wobei ihm der kalte Schweiß ausgebrochen war.
»Ich… äh… glaube, er arbeitet irgendwo landeinwärts«, sagte ich. »Guilford? Oder war es Paleyville?«
Tatsächlich war es Hillsboro, doch das spielte kaum eine Rolle, da er sich zurzeit nicht in Hillsboro befand. Er war nämlich in Cross Creek, um für seinen Arbeitgeber, einen Brauer, eine Lieferung Fässer in Empfang zu nehmen. Ich hatte ihn kaum eine Stunde zuvor in der Küferei gesehen, in Begleitung der zweiten Mrs. Morton und ihres Babys. Jezebel Hatfield Morton sah nicht so aus, als würde sie eine solche Situation gesittet hinnehmen.
Sie stieß einen leisen Kehllaut aus, der auf Ekel schließen ließ.
»Er ist ein verdammt flinkes kleines Wiesel. Aber ich erwisch ihn schon noch, nur keine Sorge.« Die beiläufige Überzeugung, mit der sie diese Worte sprach, verhieß nichts Gutes für Isaiah.
Ich hielt zwar Schweigen für die klügste Vorgehensweise, fragte aber unwillkürlich: »Was wollt Ihr denn von ihm?« Isaiah besaß eine gewisse lässige Liebenswürdigkeit, doch objektiv betrachtet schien er kaum die Sorte Mann zu sein, für den eine Frau entflammte, von zweien ganz zu schweigen.
»Was ich von ihm will?« Dieser Gedanke schien sie zu belustigen, und sie rieb sich mit ihrer kräftigen Faust über die rote Nase. »Ich will gar nichts von ihm. Aber mich lässt kein Mann für irgendein blasses Mäuschen sitzen. Wenn ich ihn erwische, schlag ich ihm den Schädel ein und nagle ihn mit der Vorhaut an meine Tür.«
Aus dem Mund eines anderen Menschen hätte dies eventuell nach einer rhetorischen Drohung geklungen. Aus dem Mund der fraglichen Dame war es eine unumstößliche Absichtserklärung. Mirandas Augen waren so rund wie die eines Froschs, und die ihrer Mutter kaum minder.
Jezebel H. Morton blinzelte mich an und kratzte sich nachdenklich unter ihrer massigen Brust, so dass der feuchte Stoff ihres Hemdes an ihrer Haut kleben blieb.
»Ich habe gehört, Ihr habt dem kleinen Schuft in Alamance das Leben gerettet. Stimmt das?«
»Äh… ja.« Ich beobachtete sie argwöhnisch und machte mich auf einen eventuellen Angriff gefasst. Sie blockierte die Tür; falls sie auf mich losging, würde ich über die Theke springen und durch die Tür in die Wohnung der Bogues’ sprinten.
Sie trug ein blankes Messer, das groß genug war zum Schweineschlachten. Es steckte in einem geknoteten Wampum-Gürtel, der außerdem eine zum Kilt zusammengelegte Stoffmasse festhielt, die ursprünglicherweise vielleicht einmal ein roter Flanellunterrock gewesen war und jetzt am Knie abgesäbelt war. Ihre kräftigen Beine waren nackt, genau wie ihre Füße. Sie hatte außerdem eine Pistole und ein Pulverhorn am Gürtel hängen, machte aber zum Glück keine Anstalten, nach einer ihrer Waffen zu greifen.
»Wie schade«, sagte sie leidenschaftslos. »Aber wenn er schon tot wäre, bliebe mir der Spaß erspart, ihn umzubringen, also ist es wohl nicht so schlimm. Keine Sorge; wenn ich ihn nicht finde, findet ihn einer von meinen Brüdern.«
Anscheinend war die Angelegenheit damit vorerst erledigt, und sie entspannte sich ein wenig und sah sich um, wobei ihr erstmals die leeren Regale ins Auge fielen.
»Was ist denn hier los?«, wollte sie mit neugieriger Miene wissen.
»Wir verkaufen«, murmelte Melanie und versuchte, Miranda hinter sich in Sicherheit zu bringen. »Fahren nach England.«
»Ach ja?« Das schien Jezebel zu interessieren. »Was ist passiert? Haben sie Euren Mann umgebracht? Oder geteert und gefedert?«
Melanie wurde weiß.
»Nein«, flüsterte sie. Ihr Kehlkopf bewegte sich, als sie schluckte, und ihr angstvoller Blick wanderte zur Tür. Das war also die Bedrohung. Trotz der glühenden Hitze war mir plötzlich kalt.
»Oh?
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