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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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einem Wort. »Sie – wir waren nicht da, Brianna und ich, sonst hätten wir sie nicht gelassen, natürlich nicht – aber sie haben gedacht, es ist das Richtige für jemandem mit schlimmem Fieber, heutzutage macht man es so. Brianna hat getobt, aber sie haben gedacht – sie haben wirklich geglaubt, sie würden helfen, dir das Leben zu retten – o Gott, Claire, mach nicht so ein Gesicht, bitte!«

    Sein Gesicht war in einem verschwommenen Kranz aus Licht verschwunden, als sich plötzlich ein Vorhang aus schimmerndem Wasser herabsenkte, um mich vor dem Blick der Welt zu schützen.
    Mir war gar nicht bewusst, dass ich weinte. Der Schmerz brach einfach aus mir heraus, wie Wein aus einem Weinschlauch spritzt, den man mit dem Messer ansticht, überall Tropfen, dunkelrot wie Knochenmark.
    »Ich hole Jamie!«, krächzte er.
    »NEIN!« Ich packte ihn am Ärmel und legte dabei mehr Kraft an den Tag als ich zu besitzen geglaubt hätte. »Gott, nein! Ich will nicht, dass er mich so sieht!«
    Sein kurzes Schweigen verriet es mir, doch ich hielt mich stur an seinem Ärmel fest, weil mir keine andere Möglichkeit einfiel, das Unvorstellbare zu verhindern. Ich kniff die Augen zu und öffnete sie wieder; das Wasser strömte mir über das Gesicht wie ein Bach, der über Felsen fließt, und Roger wurde wieder sichtbar, wenn auch mit verschwommenen Rändern.
    »Er… äh… er hat dich gesehen«, sagte Roger schroff. Er senkte den Blick, um mich nicht direkt anzusehen. »Es. Schon. Ich meine -« Er wies mit einer vagen Geste in die Richtung seiner eigenen schwarzen Locken. »Er hat es schon gesehen.«
    »Wirklich?« Das schockierte mich beinahe genauso wie die eigentliche Entdeckung. »Was – was hat er gesagt?«
    Er holte tief Luft und blickte wieder auf, wie ein Mensch, der befürchtet, dass er eine Gorgo sehen wird. Oder die Antigorgo, dachte ich bitter.
    »Er hat gar nichts gesagt«, sagte Roger ganz sanft und legte mir die Hand auf den Arm. »Er – er hat einfach nur geweint.«
    Auch ich weinte erneut, allerdings jetzt weniger heftig und ohne dabei nach Luft zu schnappen. Das Gefühl markerschütternder Kälte war vorüber, und meine Gliedmaßen fühlten sich jetzt warm an, obwohl mich der kühle Lufthauch auf meiner Kopfhaut noch aus der Fassung brachte. Mein Herzschlag verlangsamte sich wieder, und mich überkam ein schwaches Gefühl, außerhalb meines Körpers zu stehen.
    Schock?, dachte ich, dumpf überrascht, als sich das Wort in meinen Gedanken formte und dann wieder zerfloss wie Gummi. Wahrscheinlich konnte man ja infolge seelischer Verletzungen einen echten körperlichen Schock erleiden – natürlich konnte man das, das wusste ich doch …
    »Claire!« Mir wurde bewusst, dass Roger immer drängender meinen Namen rief und mich am Arm rüttelte. Unter immenser Anstrengung brachte ich meine Augen dazu, sich auf ihn zu richten. Er sah wirklich alarmiert aus, und ich fragte mich vage, ob ich wieder begonnen hatte zu sterben. Aber nein – dazu war es zu spät.
    »Was?«
    Er seufzte – erleichtert, dachte ich.

    »Einen Moment lang hast du ziemlich merkwürdig ausgesehen.« Seine Stimme war rau und heiser; er klang, als schmerzte ihn das Sprechen. »Ich dachte – möchtest du noch eine Tasse Tee?«
    Dieser Vorschlag kam mir so unpassend vor, dass ich dicht daran war zu lachen. Doch ich hatte schrecklichen Durst – und auf einmal schien mir eine Tasse Tee das Begehrenswerteste auf der Welt zu sein.
    »Ja.« Die Tränen liefen mir immer noch über das Gesicht, doch jetzt erschienen sie mir beinahe tröstend. Ich machte nicht den Versuch, sie zu unterdrücken – das schien viel zu schwer zu sein -, sondern betupfte mir nur mit einer Ecke des teefleckigen Lakens das Gesicht.
    Ganz allmählich dämmerte mir, dass ich möglicherweise nicht die klügste – oder zumindest nicht die einfachste – Entscheidung getroffen hatte, als ich beschloss, nicht zu sterben. Ich begann, wieder Dinge wahrzunehmen, die außerhalb der Grenzen und Bedürfnisse meines eigenen Körpers lagen. Sorgen, Schwierigkeiten, Gefahren … Trauer. Dunkle, beängstigende Dinge wie ein Fledermausschwarm. Ich traute mich gar nicht, mir die Bilder zu genau zu betrachten, die in einem unordentlichen Haufen am Grund meines Hirns lagen – Dinge, die ich über Bord geworfen hatte, während ich darum kämpfte, nicht unterzugehen.
    Doch wenn ich zurückgekehrt war, war ich gleichzeitig zu dem zurückgekehrt, was ich war – und ich war Ärztin.
    »Die…

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