Ein Hauch von Schnee und Asche
wahrscheinlich, dämpfte ihren Ärger aber nicht im Geringsten.
»Du hast Pa davon erzählt? Und er hat einfach nur ›schön‹ gesagt, und ihr wart beide der Meinung, dass absolut nichts Bedenkliches dabei ist, mich – mich – für drei Tage in den Wald zu schleppen, ohne mir zu sagen, was eigentlich los ist? Ihr – ihr -«
»Arroganten, unerträglichen verflixten Schotten «, vollendete Ian und imitierte dabei den englischen Akzent ihrer Mutter so perfekt, dass sie trotz ihrer Verärgerung in Gelächter ausbrach.
»Ja«, sagte sie und wischte sich den verspritzten Traubensaft vom Kinn. »Ganz genau!«
Er lächelte immer noch, doch sein Ausdruck hatte sich verändert; jetzt zog er sie nicht mehr auf.
»Brianna«, sagte er leise in diesem Highland-Singsang, der ihren Namen in etwas Seltsames, Anmutiges verwandelte. »Es ist wichtig, aye?«
Jetzt lächelte er gar nicht mehr. Seine Augen waren fest auf die ihren gerichtet, warm, aber ernst. Seine haselgrünen Augen waren das einzige Merkmal in Ian Murrays Gesicht, das man als schön bezeichnen konnte,
doch ihr Blick war von solch unverblümter, liebenswerter Offenheit, dass der Betrachter das Gefühl hatte, Ian hätte ihn ins Innere seiner Seele blicken lassen, nur für einen Moment. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er sich dieser Wirkung bewusst war – doch selbst wenn er es war, war es schwer, ihm zu widerstehen.
»Nun gut«, sagte sie und verscheuchte eine kreisende Wespe. Sie war zwar noch verärgert, hatte sich aber in ihr Schicksal ergeben. »Nun gut . Aber du hättest es mir trotzdem sagen sollen. Und du verrätst es mir immer noch nicht?«
Er schüttelte den Kopf, den Blick auf die Traube gerichtet, die er gerade mit dem Daumen von ihrem Stiel löste.
»Es geht nicht«, sagte er schlicht. Er steckte die Traube in den Mund und drehte sich seinem Rucksack zu, um ihn zu öffnen. Jetzt, da sie bewusst hinsah, stellte sie fest, dass er verdächtig prall war. »Möchtest du ein Stück Brot, Cousinchen, oder etwas Käse?«
»Nein. Lass uns gehen.« Sie stand auf und strich sich das Laub von der Hose. »Je eher wir dort sind, desto eher sind wir wieder zurück.«
Eine Stunde vor Sonnenuntergang hielten sie an, solange es noch hell genug war, um Holz zu sammeln. Es hatte sich herausgestellt, dass der prall gefüllte Rucksack zwei Decken enthielt, außerdem etwas zu essen und eine Flasche Bier – mehr als willkommen, nachdem sie fast den ganzen Tag bergauf gegangen waren.
»Oh, das ist aber gut«, sagte sie beifällig und schnupperte nach einem langen, aromatischen, hopfen-herben Schluck am Hals der Flasche. »Wer hat es gebraut?«
»Lizzie. Sie hat bei Frau Ute abgeschaut, wie es geht. Vor dem… äh … mpfm.« Ein diskretes schottisches Geräusch umschrieb die schmerzlichen Umstände, die die Auflösung von Lizzies Verlobung begleitet hatten.
»Mmm. Das war wirklich schade, nicht wahr?« Sie senkte die Wimpern und beobachtete ihn unauffällig, um zu sehen, ob er über Lizzie sprechen wollte. Es hatte einmal den Anschein gehabt, als wären Lizzie und Ian einander zugetan – doch zuerst war er zu den Irokesen gegangen, und dann war sie bei seiner Rückkehr Manfred McGillivray versprochen gewesen. Jetzt, da sie beide wieder frei waren …
Doch er tat ihre Bemerkung über Lizzie einfach mit einem zustimmenden Achselzucken ab, während er sich auf die mühselige Arbeit des Feuermachens konzentrierte. Der Tag war warm gewesen, und ihnen blieb noch eine Stunde Tageslicht, doch die Schatten unter den Bäumen waren schon blau; die Nacht würde kühl werden.
»Ich werde einmal einen Blick auf den Bach werfen«, verkündete sie und zog eine zusammengerollte Schnur und einen Haken aus dem Häufchen der Gegenstände, die Ian aus seinem Rucksack geholt hatte. »Es sah so aus, als
wäre da vor der Biegung ein Forellenbecken, und die Fliegen werden jetzt aufsteigen.«
»Oh, aye.« Er nickte, beachtete sie jedoch kaum, während er sein Zunderhäufchen geduldig noch etwas vergrößerte, bevor er seinen Feuerstein erneut Funken regnen ließ.
Als sie der Biegung des kleinen Bachs folgte, entdeckte sie, dass es nicht nur ein Forellenbecken war – es war ein Biberteich. Der hügelförmige Bau spiegelte sich im reglosen Wasser, und am anderen Ufer konnte sie zwei heftig zitternde Weidenschößlinge sehen, die offenbar gerade verspeist wurden.
Sie bewegte sich langsam und blieb argwöhnisch auf der Hut. Biber würden ihr nichts tun, aber sie würden
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