Ein Hauch von Schnee und Asche
umklammerte instinktiv schützend seine Pobacken.
»Und was hast du dir nur dabei gedacht, deinen kleinen Bruder hier heraufzuschleifen?«, fragte Roger ein kleines bisschen strenger. »Er kann doch kaum laufen! Zwei Schritte da hinaus« – er wies kopfnickend auf die Höhle – »und er stürzt bis zum Bach hinunter und bricht sich den Hals.«
»Oh, nein, Sir!«, sagte Germain schockiert. Er fingerte in seiner Tasche herum und zog ein Stück Leine heraus. »Ich würde ihn anbinden, wenn ich nicht da wäre, damit er nicht davonspaziert oder fällt. Aber ich konnte ihn doch nicht da lassen; ich habe es Maman bei seiner Geburt versprochen; ich habe gesagt, ich würde ihn nie allein lassen.«
Tränen begannen Aidan über die schmalen Wangen zu laufen. Henri-Christian begann völlig verwirrt aus lauter Sympathie mitzuheulen, woraufhin auch Jems Unterlippe bebte. Er entwand sich Rogers Griff, rannte auf Germain zu und klammerte sich heftig an ihn.
»Germain darf nicht gehen, Papa, bitte zwinge ihn nicht zu gehen!«
Roger rieb sich die Nase, wechselte einen kurzen Blick mit Ian und seufzte.
Er setzte sich auf einen Felsen und winkte Ian zu, der gewisse Schwierigkeiten damit hatte zu entscheiden, wie herum er Henri-Christian halten sollte. Ian überreichte ihm das Baby mit spürbarer Erleichterung, und Henri-Christian, der das Bedürfnis nach Sicherheit verspürte, griff Roger mit einer Hand an die Nase und mit der anderen in die Haare.
»Hör zu, a bhailach «, sagte er und löste sich unter Schwierigkeiten von Henri-Christian. »Der kleine Henri-Christian braucht seine Mutter zum Trinken. Er hat ja kaum Zähne, zum Kuckuck – er kann nicht hier oben in der Einöde leben und mit euch Wilden rohes Fleisch essen.«
»Er hat wohl Zähne!«, wandte Aidan tapfer ein und hielt zum Beweis seinen angebissenen Zeigefinger hoch. »Da!«
»Er isst Brei«, sagte Germain, allerdings mit einem unsicheren Unterton. »Wir würden ihm Brötchen in Milch einweichen.«
»Henri-Christian braucht seine Mutter«, wiederholte Roger entschieden, »und deine Mutter braucht dich . Du erwartest doch wohl nicht, dass sie einen Wagen, zwei Maultiere und deine Schwestern ganz allein nach New Bern befördert, oder?«
»Aber Papa kann ihr doch helfen«, protestierte Germain. »Die Mädchen hören auf ihn wie auf niemanden sonst!«
»Dein Papa ist doch schon fort«, erinnerte ihn Ian. »Er ist vorgeritten, um eine Wohnung für euch zu suchen. Eure Mutter soll ihm mit euren Sachen folgen. Roger Mac hat Recht, a bhailach – deine Mutter braucht dich.«
Germains schmales Gesicht erbleichte ein wenig. Er sah hilflos auf Jemmy
nieder, der immer noch an ihm hing, dann hügelauf zu Aidan, und er schluckte. Der Wind war stärker geworden und blies ihm die blonden Fransen aus dem Gesicht, so dass er sehr klein und zerbrechlich wirkte.
»Nun denn«, sagte er, dann hielt er inne und schluckte. Ganz sanft legte er Jemmy die Arme um die Schultern und küsste ihn auf seinen runden roten Kopf.
»Ich komme wieder, Vetter«, sagte er. »Und du wirst mich am Meer besuchen. Du kommst dann auch mit«, versicherte er an Aidan gerichtet. Aidan zog die Nase hoch, nickte und kam langsam den Abhang herunter.
Roger streckte die freie Hand aus und löste Jemmy sanft von Germain. »Komm auf meinen Rücken, mo chuisle «, sagte er. »Der Berg ist steil; ich trage dich huckepack.«
Ian ließ sich gar nicht erst fragen, sondern bückte sich und hob Aidan auf, der ihm die Beine um die Hüften schlang und sein tränenüberströmtes Gesicht an Ians Lederhemd verbarg.
»Sollen wir dich auch tragen?«, fragte Roger Germain, während er vorsichtig unter dem Gewicht seiner doppelten Last aufstand. »Ian kann das machen, wenn du möchtest.«
Ian nickte und streckte die Hand aus, doch Germain schüttelte den Kopf, sodass sein blondes Haar hin und her flog.
» Non , Onkel Roger«, sagte er so leise, dass man ihn kaum hören konnte. »Ich gehe zu Fuß.« Damit machte er kehrt und begann vorsichtig, den abschüssigen Hang hinunterzusteigen.
69
Die Biberattacke
25. Oktober 1774
Sie waren schon eine Stunde unterwegs, als Brianna allmählich klar wurde, dass sie nicht auf Wild aus waren. Sie hatten die Spur eines kleinen Rotwildrudels gekreuzt, dessen Kot so frisch war, dass die Kügelchen noch feucht und formbar waren, aber Ian beachtete dieses Zeichen gar nicht, sondern drängte zielsicher und entschlossen weiter bergauf.
Rollo war mit ihnen gekommen, doch nach
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