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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wiederholten vergeblichen Versuchen, die Aufmerksamkeit seines Herrchens auf viel versprechende Gerüche zu lenken, hatte er sie im Stich gelassen und war durch das aufwirbelnde Laub davongestürmt, um für sich selbst zu jagen.
    Der Aufstieg war zu steil, um sich zu unterhalten, selbst wenn Ian den
Eindruck gemacht hätte, als sei ihm danach zumute. So folgte sie ihm mit einem geistigen Achselzucken, behielt jedoch das Gewehr in der Hand und hielt ein Auge auf das Gebüsch gerichtet – nur für alle Fälle.
    Sie waren in der Morgendämmerung in Fraser’s Ridge aufgebrochen; es war weit nach Mittag, als sie endlich am Ufer eines kleinen, namenlosen Flüsschens Halt machten. Wilder Wein umrankte den Stamm eines Dattelpflaumenbaums, dessen Zweige über das Ufer hingen; die meisten Trauben waren von Tieren gefressen worden, aber ein paar Büschel baumelten noch über dem Wasser, wo sie höchstens für die waghalsigsten Eichhörnchen zu erreichen waren – oder für eine hoch gewachsene Frau.
    Sie schlüpfte aus ihren Mokassins, trat in den Bach und schnappte nach Luft, als das eiskalte Wasser ihre Waden traf. Die Trauben waren zum Platzen reif, so dunkelrot, dass sie fast schwarz waren, und sie klebten vor Saft. Es hatten sich zwar keine Eichhörnchen daran vergriffen, aber die Wespen hatten es getan, und sie hielt vorsichtig nach den kleinen Beutesuchern mit den dolchförmigen Bäuchen Ausschau, während sie den Stiel einer ganz besonders fetten Traube abbrach.
    »Und, hast du vor, mir zu erzählen, was wir wirklich suchen?«, fragte sie mit dem Rücken zu ihrem Vetter.
    »Nein«, sagte er mit einem Lächeln in der Stimme.
    »Oh, eine Überraschung, wie?« Sie knickte den Stängel ab, drehte sich um und warf ihm die Trauben zu. Er fing sie mit einer Hand und legte sie neben den abgenutzten Rucksack, in dem er ihre Vorräte transportierte.
    »Etwas in der Art.«
    »Solange wir nicht einfach nur einen Spaziergang machen.« Sie brach noch eine Traube ab und watete planschend ans Ufer, wo sie sich neben ihn setzte.
    »Nein, das tun wir nicht.« Er warf sich zwei Trauben in den Mund, zerdrückte sie und spuckte die Häutchen und Kerne mit der Leichtigkeit langer Übung aus. Sie knabberte graziöser an ihren Trauben, die sie in zwei Hälften biss, um dann die Kerne mit den Fingernägeln herauszupicken.
    »Du solltest die Häutchen mitessen, Ian; sie stecken voller Vitamine.«
    Er zog skeptisch eine Schulter hoch, schwieg aber. Sowohl sie als auch ihre Mutter hatten ihm schon mehrfach Vorträge über Vitamine gehalten – mehr oder minder ohne Wirkung. Die Existenz von Krankheitskeimen hatten Jamie und Ian widerstrebend akzeptieren müssen, weil Claire ihnen unter ihrem Mikroskop ganze Meere von Mikroorganismen zeigen konnte. Vitamine dagegen waren unglücklicherweise unsichtbar und ließen sich daher gefahrlos ignorieren.
    »Ist es noch sehr viel weiter bis zu dieser Überraschung?« Die Traubenschalen waren in der Tat ziemlich bitter. Ihr Mund verzog sich unwillkürlich, als sie darauf biss. Ian, der wie am Fließband aß und spuckte, bemerkte es und grinste sie an.

    »Aye, noch ein Stück.«
    Sie warf einen Blick zum Horizont; die Sonne hatte den Zenit schon weit überschritten. Wenn sie jetzt den Rückweg antraten, würden sie erst im Dunklen nach Hause kommen.
    »Wie viel weiter?« Sie spuckte die zerquetschte Traubenschale in ihre Handfläche und warf sie ins Gras.
    Ian warf ebenfalls einen Blick auf die Sonne und spitzte die Lippen.
    »Nun ja … ich denke, morgen Mittag sind wir da.«
    »Wir sind was ? Ian!« Er machte ein verlegenes Gesicht und senkte den Kopf.
    »Tut mir Leid, Cousinchen. Ich weiß, dass ich es dir besser vorher gesagt hätte – aber ich dachte, du kommst vielleicht nicht mit, wenn ich dir verraten hätte, wie weit es ist.«
    Eine Wespe landete auf den Trauben in ihrer Hand, und sie verscheuchte sie gereizt.
    »Du weißt genau , dass ich nicht mitgekommen wäre. Ian, was hast du dir nur dabei gedacht? Roger wird einen Anfall bekommen!«
    »Einen Anfall? Roger Mac? Das glaube ich nicht.«
    »Na ja, schön, keinen Anfall – aber er wird sich Sorgen machen. Und Jemmy wird mich vermissen!«
    »Nein, sie kommen schon zurecht«, versicherte Ian ihr. »Ich habe Onkel Jamie gesagt, dass wir drei Tage bleiben, und er hat gesagt, er nimmt den Kleinen mit ins Haupthaus. Wenn ihn deine Mutter und Lizzie und Mrs. Bug verwöhnen, wird der kleine Jem gar nicht merken, dass du nicht da bist.«
    Das stimmte

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