Ein Hauch von Schnee und Asche
Appell, den ich nicht ignorieren konnte. Doch ich war hier – und was jetzt?
Jamie richtete sich plötzlich auf und spähte zum Fluss. Ich folgte seiner Blickrichtung und sah, dass ein Boot dort angelegt hatte. Eine hoch gewachsene Gestalt sprang auf den Anleger und drehte sich dann um, um einer zweiten aus dem Boot zu helfen. Der zweite Mann war nicht so groß und bewegte sich merkwürdig, unbalanciert und unrhythmisch.
»Duncan«, sagte ich sofort, als ich das sah. »Und Ulysses. Sie sind wieder da!«
»Aye«, sagte Jamie. Er ergriff meinen Arm und setzte sich in Richtung des Hauses in Bewegung. »Aber sie haben sie nicht gefunden.«
DAVONGELAUFEN oder GESTOHLEN am 31. Oktober, eine Negerin, zweiundzwanzig Jahre alt, von mittlerer Größe und hübscher Erscheinung, mit einer Narbe in Form eines Ovals auf dem linken Unterarm, verursacht durch eine Brandwunde. Bekleidet mit einem indigofarbenen Kleid, einer grün gestreiften Schürze, weißer Haube, braunen Strümpfen und Lederschuhen. Keine Zahnlücken. Hört auf den Namen FAYDREE. Hinweise an D. Innes, River Run Plantage in der Nähe von Cross Creek. Hohe Belohnung für Informationen von Wert.
Ich strich das zerknitterte Flugblatt glatt, das außerdem eine grobe Zeichnung Phaedres zeigte, auf der sie aussah, als schielte sie leicht. Duncan hatte seine Taschen geleert und eine Hand voll dieser Flugblätter auf den Tisch im Flur gelegt, als er am Nachmittag zuvor erschöpft und mutlos zurückgekehrt
war. Wie er sagte, hatten sie die Zettel in jedem Wirtshaus und jeder Kneipe von Campbelton und Wilmington aufgehängt und dabei Erkundigungen eingezogen – doch ohne Ergebnis. Phaedre war verschwunden wie der Morgentau.
»Kann ich bitte die Marmelade haben?« Jamie und ich frühstückten allein, da weder Jocasta noch Duncan an diesem Morgen erschienen waren. Ich genoss es trotz der drückenden Atmosphäre. Das Frühstück auf River Run war stets luxuriös und beinhaltete sogar eine Kanne echten Tee – Jocasta musste irgendeinem Schmuggler ein Vermögen dafür bezahlen; soweit ich wusste, war von Virginia bis Georgia kein Tee zu finden.
Jamie hatte die Stirn gerunzelt und betrachtete tief in Gedanken eines der Flugblätter. Er wandte den Blick nicht davon ab, sondern seine Hand wanderte vage über den Tisch, senkte sich auf den Sahnekrug und reichte ihn mir.
Ulysses, dem man außer einer gewissen Schwere seiner Augenlider keine Spur der langen Reise ansah, trat schweigend vor, ergriff den Sahnekrug, stellte ihn wieder zurück und setzte das Marmeladentöpfchen neben meinen Teller.
»Danke«, sagte ich, und er neigte elegant den Kopf.
»Möchtet Ihr noch Räucherhering, Madam?«, erkundigte er sich. »Oder noch Schinken?«
Ich schüttelte den Kopf, da ich den Mund voller Toast hatte, und er glitt davon und ergriff ein Tablett, das voll beladen neben der Tür stand und wahrscheinlich für Jocasta, Duncan oder beide bestimmt war.
Jamie sah ihm mit geistesabwesender Miene nach.
»Ich habe nachgedacht, Sassenach«, sagte er.
»Darauf wäre ich nie gekommen«, versicherte ich ihm. »Worüber denn?«
Im ersten Moment war seine Miene überrascht, doch dann begriff er und lächelte.
»Du weißt doch, was ich dir gesagt habe, Sassenach, über Brianna und die Witwe McCallum? Dass sie nicht lange zaudern würde zu handeln, falls sich Roger Mac um Dinge kümmert, die er lieber lassen sollte?«
»Ja«, sagte ich.
Er nickte, als sähe er etwas bestätigt.
»Nun, ich weiß, von wem sie das hat. Die MacKenzies aus Leoch sind allesamt stolz wie Luzifer und unglaublich eifersüchtig dazu. Man gerät ihnen besser nicht in die Quere, geschweige denn, Verrat an ihnen zu begehen.«
Ich fixierte ihn argwöhnisch über meine Teetasse hinweg und fragte mich, worauf er hinauswollte.
»Ich dachte, ihre bezeichnendste Eigenschaft wäre ihr Charme, gepaart mit Gerissenheit. Und was den Verrat angeht, so waren deine Onkel doch beide Meister darin.«
»Das lässt sich doch nicht trennen, oder?«, fragte er und streckte die Hand aus, um einen Löffel in die Marmelade zu tauchen. »Erst muss man jemanden umgarnen, bevor man ihn verraten kann, oder? Und ich bin der Meinung, dass ein Verräter den Verrat selbst umso mehr verabscheut. Oder eine Verräterin«, fügte er vorsichtig hinzu.
»Ach, wirklich«, sagte ich und nippte genussvoll an meinem Tee. »Du meinst Jocasta.« Wenn man es so formulierte, konnte ich es verstehen. Die MacKenzies aus Leoch besaßen sehr ausgeprägte
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