Ein Hauch von Schnee und Asche
tatsächlich alles, und dasselbe galt auch für Rodney.
Ein paar Tage nachdem die Männer zum Brautraub aufgebrochen waren, kam Brianna mit Jemmy zu Besuch, und Lizzie hatte Rodney mitgebracht. Die beiden setzten sich zu Amy McCallum und mir in die Küche, wo wir einen angenehmen Abend verbrachten, am Feuer nähten, Rodney bewunderten, mit halbem Auge auf Jemmy und Aidan achteten – und uns nach einem vorsichtigen Anfang mit Leib und Seele dem Thema widmeten, welche der männlichen Bewohner von Fraser’s Ridge wohl als Verdächtige in Frage kamen.
Ich hatte natürlich das persönlichste und schmerzlichste Interesse an dieser Frage, doch die drei jungen Frauen standen unverbrüchlich auf der Seite der Gerechtigkeit – das heißt der Seite, die sich weigerte, auch nur einen Gedanken an die Vorstellung zu verschwenden, dass Jamie oder ich das Geringste mit dem Mord an Malva Christie zu tun haben könnten.
Was mich betraf, so empfand ich diese offenen Spekulationen als äußerst beruhigend. Ich hatte mir natürlich insgeheim ununterbrochen Gedanken gemacht – und das war kräftezehrend. Es war nicht nur unangenehm, mir jeden Mann, den ich kannte, in der Rolle des kaltblütigen Mörders vorzustellen – diese Gedankengänge zwangen mich auch, mir den Mord selbst wieder und wieder auszumalen und den Moment, in dem ich sie gefunden hatte, erneut zu durchleben.
»Ich denke wirklich nur ungern daran, dass es Bobby gewesen sein könnte«, sagte Brianna stirnrunzelnd und schob einen hölzernen Stopfpilz in die Ferse einer Socke. »Er scheint so ein netter Junge zu sein.«
Bei diesen Worten spitzte Lizzie die Lippen.
»Oh, aye, er ist ein lieber Junge«, sagte sie. »Aber er ist auch das, was man hitzig nennen würde.«
Alle Blicke richteten sich auf sie.
»Nun ja«, sagte sie ungerührt, »ich habe ihn ja nicht gelassen, aber er hat es mit allen Mitteln versucht. Und als ich nein gesagt habe, ist er davongestapft und hat gegen einen Baum getreten.«
»Das hat mein Mann auch manchmal getan, wenn ich ihn abgewiesen habe«, sagte Amy nachdenklich. »Aber ich bin mir sicher, dass er mir nicht die Kehle durchgeschnitten hätte.«
»Nun, aber Malva hat denjenigen ja gar nicht abgewiesen«, sagte Brianna und zog den Faden durch ihre Stopfnadel. »Das war ja das Problem. Er hat sie umgebracht, weil sie schwanger war und er Angst hatte, dass sie es überall herumerzählen würde.«
»Ho!«, sagte Lizzie triumphierend. »Nun – dann kann Bobby es doch gar nicht gewesen sein, oder? Denn als mein Pa ihn abgewiesen hat« – ein Schatten huschte über ihr Gesicht, als sie ihren Vater erwähnte, der immer noch kein Wort mit ihr gesprochen oder die Geburt des kleinen Rodney sonst wie zur Kenntnis genommen hatte -, »hat er da nicht daran gedacht, um Malva Christie anzuhalten? Ian sagt, das hatte er vor. Und wenn sie von ihm schwanger gewesen wäre – nun, dann wäre ihr Vater doch gezwungen gewesen, sich einverstanden zu erklären, oder nicht?«
Amy nickte, weil sie das überzeugend fand, doch Brianna hatte ihre Einwände.
»Ja – aber sie hat doch darauf bestanden, dass das Baby nicht von ihm war. Und er hat sich in die Blaubeerbüsche übergeben, als er gehört hat, dass sie -« Ihre Lippen pressten sich kurz zusammen. »Nun, er war alles andere als glücklich. Also ist es doch möglich, dass er sie aus Eifersucht umgebracht hat, glaubt ihr nicht?«
Lizzie und Amy stießen ein skeptisches »Hmm« aus – sie hatten Bobby beide gern -, waren aber gezwungen, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
»Was ich mich frage«, sagte ich ein wenig zögernd, »ist, was mit den älteren
Männern ist. Den Verheirateten. Jeder weiß von den jungen Männern, die an ihr Interesse hatten – aber ich habe auch schon mehr als einmal gesehen, dass ihr ein verheirateter Mann im Vorübergehen hinterhergeblickt hat.«
»Ich nominiere Hiram Crombie«, sagte Brianna augenblicklich und stieß die Nadel in ihre Sockenferse. Alles lachte, doch sie schüttelte den Kopf.
»Nein, ich meine es ernst. Es sind immer die streng religiösen Eiferer, von denen sich dann herausstellt, dass sie zu Hause die Schubladen voller Damenwäsche haben und den Chorknaben nachstellen.«
Amy klappte der Kiefer auf.
»Schubladen voller Damenwäsche?«, sagte sie. »Was... Hemden und Korsette? Was sollte er denn damit tun ?«
Brianna wurde rot, denn sie hatte vergessen, wer ihre Zuhörerinnen waren. Sie hustete, doch einen eleganten Ausweg gab es
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