Ein Hauch von Schnee und Asche
glaube schon. Sie ist von der Darmreizung zwar noch etwas wackelig auf den Beinen – aber bis morgen sollte sie wieder ganz gesund sein. Ich sehe keine Gefahr für die Schwangerschaft – sagt mir, hat sie früher einmal Komplikationen gehabt?«
Das Gesicht des Gouverneurs lief bei dieser Frage rosig an, doch er schüttelte den Kopf.
»Ich danke Euch, Mrs. Fraser«, sagte er und neigte kaum merklich den Kopf. »Bitte entschuldige mich, George – ich muss mit Betsy sprechen.«
»Denkt er daran, seine Frau fortzuschicken?«, fragte ich Webb, nachdem der Gouverneur gegangen war. Trotz der Hitze regte sich ein leiser Schauer der Beklommenheit unter meiner Haut.
Ausnahmsweise benahm sich Webb wie ein Mensch; er blickte dem Gouverneur stirnrunzelnd nach und nickte geistesabwesend.
»Er hat Verwandte in New York und New Jersey. Sie wird dort sicher sein, bei den Mädchen. Ihren drei Töchtern«, erklärte er, als er meine Miene sah.
»Drei? Sie hat gesagt, sie hätte sechs – ah.« Ich verstummte abrupt. Sie hatte gesagt, sie hätte sechs Kinder geboren, nicht, dass sie sechs Kinder hätte.
»Sie haben hier drei kleine Söhne durch das Fieber verloren«, sagte Webb, der seinem Freund immer noch nachblickte. Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Diese Stadt hat es nicht gut mit ihnen gemeint.«
Dann schien er wieder zu sich zu kommen, und der Mensch verschwand hinter der Maske des kühlen Bürokraten. Er reichte mir einen neuen Papierstapel und ging hinaus, ohne sich auch nur zu verneigen.
93
In welchem ich eine Dame spiele
Ich aß allein in meinem Zimmer zu Abend; die Köchin schien ihren Dienst immerhin noch zu versehen, obwohl die Atmosphäre der Zerrüttung im Haus greifbar war. Ich konnte die Beklommenheit spüren, die an Panik grenzte – und konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass es nicht die Angst vor Ansteckung war, die die Dienstboten davontrieb, sondern wahrscheinlich eher derselbe Selbstschutzinstinkt, der die Ratten dazu bringt, das sinkende Schiff zu verlassen.
Von meinem Fensterchen aus konnte ich einen kleinen Teil der Stadt sehen, der scheinbar friedlich im zunehmenden Zwielicht lag. Das Licht war hier ganz anders als in den Bergen – ein flaches, eindimensionales Licht, das die Häuser und die Fischerboote im Hafen in eine scharfkantige Klarheit tauchte, weiter entfernt jedoch zu einem Dunstschleier verschwamm, der das Ufer vollständig verhüllte, so dass sich mein Blick jenseits des Vordergrundes in der formlosen Unendlichkeit verlor.
Ich verwarf diesen Gedanken und zog die Schreibutensilien – Tinte, Federkiel und Papier – aus der Tasche, die ich vorhin in der Bibliothek hatte mitgehen lassen. Ich hatte keine Ahnung, ob oder wie ich eine Notiz aus dem Palast schmuggeln konnte – doch ich besaß immer noch ein wenig Geld, und wenn sich die Gelegenheit bot...
Ich schrieb hastig an Fergus und Marsali, um ihnen mit wenigen Worten mitzuteilen, was geschehen war, und Fergus zu bitten, sich in Brunswick und Wilmington nach Jamie zu erkundigen.
Ich persönlich glaubte, dass Jamie, falls er noch am Leben war, am wahrscheinlichsten in Wilmington im Gefängnis saß. Brunswick war eine winzige Siedlung im Schatten von Fort Johnston, doch das Holzfort war eine Milizgarnison; es gab keinen vernünftigen Grund, Jamie dorthin zu bringen – doch wenn sie das getan hatten... das Fort wurde von Hauptmann Collet befehligt, der ihn kannte. Zumindest würde er dort sicher sein.
Wen kannte er sonst noch? Er hatte an der Küste viele Bekannte aus den Tagen der Regulatoren. John Ashe zum Beispiel; wir waren Seite an Seite nach Alamance marschiert, und Ashes Kompanie hatte jede Nacht neben der unseren kampiert; er hatte oft an unserem Lagerfeuer gesessen. Und Ashe war aus Wilmington.
Ich hatte gerade einen kurzen Bittbrief an John Ashe beendet, als ich Schritte hörte, die durch den Flur auf mein Zimmer zukamen. Ich faltete den Brief hastig zusammen, ohne mich darum zu sorgen, ob ich ihn verschmierte, und steckte ihn zu der anderen Notiz in meine Tasche. Mir blieb
keine Zeit, mit den geschmuggelten Schreibutensilien etwas anderes anzustellen als sie unter das Bett zu schieben.
Es war natürlich Webb, mein alter Kerkermeister. Offensichtlich betrachtete man mich inzwischen als Mädchen für alles; ich wurde zu Mrs. Martins Zimmer gebracht und gebeten, für sie zu packen.
Ich hätte Klagen oder Hysterie erwartet, doch sie war nicht nur angezogen, sondern auch bleich und gefasst und gab mir ihre
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