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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wusste. »Sie ist heute Morgen kurz vor Tagesanbruch los. Dieser Mr. Webb, er hat sie fortgebracht, ganz geheim, in einem Wagen mit ihrem Gepäck.«
    Ich nickte perplex. Es war vernünftig, dass sie in aller Stille aufgebrochen war; ich konnte mir vorstellen, dass sich der Gouverneur nicht anmerken lassen wollte, dass er sich bedroht fühlte, um nicht genau jenen Gewaltausbruch zu provozieren, den er fürchtete.
    »Aber wenn Mrs. Martin nicht mehr hier ist«, sagte ich, »warum bin ich noch hier? Warum bist du hier?«
    »Oh. Nun, das weiß ich auch«, sagte Merilee und wurde jetzt etwas selbstsicherer. »Ich soll Euch beim Ankleiden helfen, Ma’am.«
    »Aber ich brauche doch keine...«, begann ich, und dann sah ich die Kleidungsstücke, die ausgebreitet auf dem Bett lagen: eines von Mrs. Martins Tageskleidern, ein hübscher Blümchenstoff im gerade in Mode gekommenen »Polonaise«-Schnitt, komplett mit bauschigen Unterröcken, Seidenstrümpfen und einem großen Strohhut, um das Gesicht zu verbergen.
    Offenbar sollte ich in die Rolle der Gouverneursgattin schlüpfen. Es war zwecklos zu protestieren; ich konnte den Gouverneur und den Butler hören, die sich im Flur unterhielten – und wenn ich so aus dem Palast heraus kam, war es schließlich umso besser.
    Ich war über fünf Zentimeter größer als Mrs. Martin, und da ich nicht schwanger war, hing das Kleid zumindest länger herunter. Es war hoffnungslos, ihre Schuhe anzuprobieren. Glücklicherweise waren meine eigenen Schuhe trotz der abenteuerlichen Reise nicht komplett heruntergekommen. Merilee putzte sie und rieb sie mit etwas Fett ein, um das Leder zum Glänzen zu bringen; immerhin sahen sie nicht so übel aus, dass man sofort auf sie aufmerksam wurde.
    Mit dem breitkrempigen Strohhut, den ich mir ins Gesicht zog, nachdem ich mein Haar darunter mit einer Haube festgesteckt hatte, bestand wahrscheinlich eine gewisse Ähnlichkeit, zumindest, wenn man Mrs. Martin nicht gut kannte. Der Gouverneur runzelte bei meinem Anblick die Stirn, schritt langsam um mich herum und zupfte das Kleid hier und dort zurecht. Doch dann nickte er und bot mir mit einer kleinen Verbeugung seinen Arm an.
    »Euer Diener, Ma’am«, sagte er höflich. Ich ließ mich ein wenig vornüberhängen, um meine Körpergröße zu tarnen, und so schritten wir zum Haupteingang hinaus, wo uns die Kutsche des Gouverneurs in der Auffahrt erwartete.

94
    Auf und davon
    Jamie Fraser nahm die Quantität und die Qualität der Bücher im Fenster der Druckerei Inh. F. Fraser zur Kenntnis und gestattete sich ein paar Sekunden des Stolzes auf Fergus; so klein das Unternehmen auch war, es schien zu florieren. Doch die Zeit drängte, und er schob sich durch die Tür, ohne die Büchertitel zu lesen.
    Eine Glocke über dem Eingang klingelte bei seinem Eintreten, und Germain tauchte hinter der Ladentheke auf wie ein tintenverschmierter Schachtelteufel. Beim Anblick seines Großvaters und seines Onkels Ian brach er in Freudengeheul aus.
    »Grand-père, grand-père!«, kreischte er begeistert, tauchte unter der Klappe in der Theke hindurch und umklammerte exstatisch Jamies Hüften. Er war gewachsen; sein Scheitel reichte Jamie jetzt bis zum Rippenbogen. Jamie fuhr ihm sanft durch das glänzend blonde Haar, dann löste er sich von Germain und bat ihn, seinen Vater zu holen.
    Das war unnötig; durch das Geschrei aufmerksam geworden, stürzte die ganze Familie aus den Wohnräumen hinter der Werkstatt. Alles rief, gellte, jaulte und benahm sich ganz allgemein wie ein Rudel Wölfe, wie Ian anmerkte, während er Henri-Christian, der sich mit rotem, triumphierendem Gesicht an seine Haare klammerte, auf seinen Schultern reiten ließ.
    »Was ist geschehen, Milord? Warum seid Ihr hier?« Fergus befreite Jamie ohne große Anstrengung aus dem Aufruhr und zog ihn beiseite in den Alkoven, wo er die wertvolleren Bücher aufbewahrte – und diejenigen, die nicht für eine Ausstellung in der Öffentlichkeit geeignet waren.
    Er konnte Fergus’ Miene ansehen, dass ihn zumindest irgendwelche Nachrichten aus den Bergen erreicht hatten; Fergus war zwar überrascht, ihn zu sehen, aber nicht erstaunt, und hinter seiner Freude verbarg sich Besorgnis. Er erklärte ihm die Lage, so rasch er konnte, stolperte aber dann und wann aus Hast und Erschöpfung über seine eigenen Worte; eins der Pferde war vierzig Meilen vor der Stadt zusammengebrochen, und da sie kein anderes auftreiben konnten, waren sie zwei Nächte und einen Tag durchgewandert. Sie

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