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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bösartig. Ich kann ja selbst nicht behaupten, der Tapferste zu sein, meine Herren, aber ich muss sagen, meine Kameraden hatten Nerven. Wir haben sie herankommen lassen, und die ersten Reihen waren keine drei Meter entfernt, als unsere Salve sie getroffen hat. Sie haben sich wieder formiert, sind erneut ranmarschiert, und wir haben sie ein zweites Mal niedergemäht – wie die Kegel, und die Offiziere … eine Menge Offiziere sind geflohen; sie waren nämlich zu Pferd. Ich – ich habe einen davon erschossen. Er ist gekippt, aber nicht heruntergefallen – sein Pferd hat ihn fortgetragen. Er hat seitwärts heruntergehangen, und sein Kopf schlenkerte lose. Aber er ist nicht heruntergefallen.«
    Lees Stimme hatte einiges an Lebhaftigkeit eingebüßt, und Roger sah, wie sich die untersetzte Gestalt McCorkles zu seinem Sekretär hinüberbeugte und ihn an der Schulter berührte.
    »Sie haben sich ein drittes Mal neu formiert und angegriffen. Und… die meisten von uns hatten keine Munition mehr. Sie sind über die Wälle und durch die Zäune geklettert. Mit aufgepflanztem Bajonett.«
    Roger saß auf den Verandastufen, Lee saß über ihm, mehr als einen Meter von ihm entfernt, doch er konnte den jungen Mann schlucken hören.
    »Wir sind zurückgewichen. Hieß es offiziell. Eigentlich sind wir davongelaufen. Sie hinterher.«
    Er schluckte erneut.
    »Ein Bajonett – es macht ein schreckliches Geräusch, wenn es in einen Mann eindringt. Einfach – schrecklich. Ich kann es nicht exakt beschreiben. Aber ich habe es gehört, und zwar mehr als einmal. Viele Männer sind an
diesem Tag schlichtweg durchbohrt worden – aufgespießt, und dann wieder heraus mit der Klinge, und dann ließ man sie zum Sterben liegen, zappelnd wie die Fische.«
    Roger hatte schon oft Bajonette aus dem achtzehnten Jahrhundert gesehen – und in der Hand gehabt. Eine fünfundvierzig Zentimeter lange, dreieckige Klinge, schwer und brutal, mit einer Ablaufrinne für das Blut an einer Seite. Ganz plötzlich dachte er an die gefurchte Narbe, die über Jamie Frasers Oberschenkel lief, und erhob sich. Mit einer kurzen, gemurmelten Entschuldigung verließ er die Veranda und wanderte am Strand entlang, nachdem er nur kurz stehen geblieben war, um sich Schuhe und Strümpfe auszuziehen.
    Es war Ebbe; Sand und Kies unter seinen nackten Füßen waren nass. Der Wind klapperte leise durch die Blätter der Palmen in seinem Rücken, und ein Schwarm Pelikane flog in einer Reihe über den Strand, friedlich im Schimmer des letzten Lichts. Er schritt ein kleines Stück in die Wellen hinein, die sanft an seinen Fersen saugten und ihm den Sand unter den Füßen fortspülten, so dass er schwankte, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.
    Weit draußen auf dem Wasser des Albemarle-Sunds konnte er Lichter sehen: Fischerboote, mit kleinen Feuerchen in Sandkisten an Bord, an denen die Fischer die Fackeln entzündeten, die sie über die Reling hielten. Diese schienen in der Luft zu schweben. Sie schwangen hin und her, und ihre Spiegelbilder im Wasser gingen langsam an und aus wie Glühwürmchen.
    Die Sterne kamen jetzt zum Vorschein. Er stand da, blickte auf und versuchte, seinen Kopf, sein Herz zu leeren und sich der Liebe Gottes zu öffnen.
    Morgen würde er Pastor werden. Du bist für immer Pastor , hieß es im Ritual der Ordination, gemäß der Order Melchisedeks .
    »Hast du Angst?« , hatte Brianna ihn gefragt, als er es ihr gesagt hatte.
    »Ja«, hatte er leise, aber deutlich gesagt.
    Er verharrte, bis die Ebbe ihn auf dem Trockenen stehen ließ, dann folgte er ihr und tapste ins Wasser, um die rhythmische Berührung der Wellen wieder zu spüren.
    »Wirst du es trotzdem tun?«
    »Ja«, sagte er noch leiser. Er hatte keine Ahnung, wozu er da Ja sagte, doch er sagte es trotzdem. Von weit hinter ihm am Strand trug ihm der Wind dann und wann einen Fetzen Gelächter zu, ein paar Worte von Reverend McMillans Veranda. Also hatten sie die Geschichten von Krieg und Tod hinter sich gelassen.
    Hatte einer von ihnen je einen Menschen getötet? Lee vielleicht. McCorkle? Er schnaubte bei diesem Gedanken, tat ihn aber nicht als sinnlos ab. Er ging noch ein Stück weiter, bis er nur noch die Wellen und den Wind hörte.
    Die eigene Seele erforschen. Das war es, was Edelmänner taten, dachte er
mit einem kleinen, ironischen Lächeln. In der Nacht, bevor man sie zum Ritter schlug, hielten die jungen Männer Wach in einer Kirche oder Kapelle und durchwachten die dunklen Stunden im Gebet,

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