Ein Hauch von Schnee und Asche
erleuchtet nur vom Schein eines Opferlichts.
Gebet worum?, fragte er sich. Einen klaren Verstand, eine lautere Absicht? Mut? Oder vielleicht Vergebung?
Er hatte Randall Lillington nicht mit Absicht umgebracht; es war zum Teil ein Unfall und zum anderen Teil Notwehr gewesen. Doch da war er auf der Jagd gewesen; auf der Suche nach Stephen Bonnet, um ihn kaltblütig umzubringen. Und Harley Boble; er konnte die glänzenden Augen des Diebesfängers immer noch vor sich sehen, konnte in seinem Arm immer noch den Widerhall des Hiebes spüren, des splitternden Schädels. Das war Absicht gewesen, ja. Er hätte es lassen können. Hatte es aber nicht gelassen.
Morgen würde er vor Gott schwören, dass er an die Doktrin der Prädestination glaubte; dass es ihm vorherbestimmt gewesen war zu tun, was er getan hatte. Vielleicht.
Vielleicht glaube ich ja gar nicht daran , dachte er, und Zweifel regten sich in ihm. Oder vielleicht ja doch. Himmel – oh, pardon - , entschuldigte er sich im Geiste – kann ich ein guter Pastor sein, wenn ich Zweifel habe? Ich glaube zwar, dass jeder Zweifel hat, aber wenn ich zu viele habe – vielleicht lässt du es mich besser jetzt wissen, bevor es zu spät ist .
Seine Füße waren taub geworden, und am Himmel flammten die Sterne, riesig in der samtschwarzen Nacht. Er hörte in seiner Nähe Schritte auf dem Kies und im Blasentang knirschen.
Es war Warren Lee, hoch gewachsen und schlaksig, McCorkles Sekretär, ehemaliger Milizionär.
»Ich dachte, ich schnappe etwas frische Luft«, sagte Lee so leise, dass es im Zischen der See kaum zu hören war.
»Aye, nun ja, davon gibt es hier eine Menge, und sie kostet nichts«, sagte Roger so freundlich, wie er konnte. Lee reagierte mit einem kurzen Glucksen, doch zum Glück schien ihm nicht nach Reden zumute zu sein.
Sie standen eine Weile da und beobachteten die Fischerboote. Dann wandten sie sich in unausgesprochenem Einverständnis um und gingen zurück. Das Haus war dunkel, die Veranda verlassen. Doch im Fenster brannte eine einsame Kerze und leuchtete ihnen heim.
»Dieser Offizier, auf den ich geschossen habe«, entfuhr es Lee plötzlich. »Ich bete für ihn. Jeden Abend.«
Lee verstummte plötzlich verlegen. Roger atmete langsam und tief und spürte, wie auch sein Herz einen Ruck machte. Hatte er je für Lillington gebetet? Oder für Boble?
»Das werde ich auch tun«, sagte er.
»Danke«, sagte Lee ganz leise, und sie gingen Seite an Seite über den
Strand zurück, blieben stehen, um ihre Schuhe einzusammeln, gingen aber barfuß weiter und ließen den Sand an ihren Füßen trocknen.
Sie hatten sich auf die Stufen gesetzt, um ihn abzustreifen, bevor sie ins Haus gingen, als sich die Tür hinter ihnen öffnete.
»Mr. MacKenzie?«, sagte Reverend McMillan, und es lag etwas in seiner Stimme, das Roger hämmernden Herzens aufstehen ließ. »Ihr habt Besuch.«
Er sah die hoch gewachsene Silhouette hinter McMillan und wusste Bescheid, noch ehe Jamie Frasers blasses, grimmiges Gesicht auftauchte, die Augen schwarz im Kerzenschein.
»Er hat Brianna«, sagte Jamie ohne Einleitung. »Du musst mitkommen.«
102
Anemone
Über ihr trampelten Schritte hin und her, und sie konnte Stimmen hören, doch die Worte waren zum Großteil zu gedämpft, um sie auszumachen. An der dem Ufer zugewandten Seite erklang ein Chor jovialer Rufe, der von gutmütigem Frauenkreischen erwidert wurde.
Die Kajüte hatte ein breites, verglastes Fenster – nannte man es auf einem Schiff Fenster, fragte sie sich, oder hatte es einen speziellen, nautischen Namen? -, das hinter der Koje entlanglief und sich mit dem Winkel des Achterschiffs nach hinten erstreckte. Es bestand aus kleinen, bleiverglasten Glasflächen. Keine Hoffnung auf eine Flucht, doch es ermöglichte, Luft einzulassen und vielleicht ja auch Informationen über ihren Aufenthaltsort.
Sie unterdrückte eine Anwandlung angewiderter Übelkeit und kletterte über die fleckigen, zerwühlten Bettlaken hinweg. Sie presste das Gesicht dicht in eine der geöffneten Fensterspalten und holte tief Luft, um die Gerüche der Kajüte zu zerstreuen, obwohl der Hafen mit seiner Gestankmischung aus totem Fisch, Abwasser und trocknendem Schlamm auch keine große Verbesserung bedeutete.
Sie konnte ein kleines Dock sehen, auf dem sich Gestalten bewegten. Am Ufer brannte ein Feuer vor einem niedrigen, weiß gekälkten Gebäude, dessen Dach mit Palmwedeln gedeckt war. Es war zu dunkel, um zu erkennen, was sich – wenn überhaupt –
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