Ein Hauch von Schnee und Asche
jenseits des Gebäudes befand. Den Geräuschen der Menschen auf dem Dock nach musste es jedoch mindestens eine kleine Stadt sein.
Vor der Kajütentür näherten sich Stimmen. »… ihn auf Ocracoke treffen, bei Neumond«, sagte die eine, worauf die andere mit unverständlichem Gemurmel erwiderte. Dann flog die Tür auf.
»Möchtest du mitfeiern, Schätzchen? Oder hast du schon ohne mich angefangen?«
Sie fuhr auf den Knien herum, und das Herz hämmerte ihr in der Kehle. Stephen Bonnet stand in der Kajütentür, eine Flasche in der Hand und ein schwaches Lächeln im Gesicht. Sie holte tief Luft, um ihren Schrecken zu unterdrücken, und übergab sich fast, als ihr aus den Laken unter ihren Knien abgestandener Spermageruch in die Nase stieg. Sie kletterte vom Bett, ohne auf ihre Kleider zu achten, und spürte etwas an der Taille reißen, als sich ihr Knie in ihrem Rock verfing.
»Wo sind wir?«, wollte sie wissen. Ihre Stimme klang ihr schrill und panisch in den Ohren.
»Auf der Anemone «, sagte er geduldig, immer noch lächelnd.
»Ihr wisst, dass ich das nicht gemeint habe!« Der Halsausschnitt ihrer Chemise war in dem Handgemenge aufgerissen, als die Männer sie vom Pferd gezerrt hatten, und eine Brust lag zum Großteil frei; sie schob den Stoff mit einer Hand zurück an seinen Platz.
»Ach ja?« Er stellte die Flasche auf den Tisch und hob die Hand, um sich die Halsbinde abzunehmen. »Ah, das ist besser.« Er rieb sich den dunkelroten Streifen an seiner Kehle, und für einen durchdringenden Moment sah sie Rogers Kehle mit ihrer gezackten Narbe vor sich.
»Ich wünsche zu erfahren, wie diese Stadt heißt«, sagte sie mit tieferer Stimme und fixierte ihn mit bohrendem Blick. Sie ging zwar nicht davon aus, dass ein Trick, der bei den Pächtern ihres Vaters funktionierte, auch bei ihm funktionieren würde, doch das gebieterische Auftreten schien ihr dabei zu helfen, fester auf den Beinen zu stehen.
»Nun, das ist natürlich ein Wunsch, den ich leicht erfüllen kann.« Er machte eine beiläufige Handbewegung Richtung Ufer. »Roanoke.« Er legte seinen Rock ab und warf ihn achtlos über einen Hocker. Der Leinenstoff seines Hemdes war zerknittert und klebte ihm feucht an Brust und Schultern.
»Zieh lieber dein Kleid aus, Schätzchen, es ist heiß.«
Er griff nach den Bändern, die sein Hemd zusammenhielten, und sie bewegte sich abrupt fort vom Bett und ließ den Blick durch die Kajüte schweifen, um nach etwas zu suchen, das sie als Waffe benutzen konnte. Hocker, Lampe, Logbuch, Flasche… da. Ein Stück Holz ragte aus dem Durcheinander auf dem Schreibtisch, das stumpfe Ende eines Marlspiekers.
Er runzelte die Stirn und konzentrierte sich ganz auf einen Knoten in seinem Band. Mit zwei langen Schritten ergriff sie den Marlspieker und riss ihn in einem Regen aus Nutzlosigkeiten und klingelnden Gegenständen vom Tisch.
»Bleibt, wo Ihr seid.« Sie hielt das Holzstück mit beiden Händen fest wie einen Baseballschläger. Der Schweiß lief ihr über den Rücken, doch ihre Hände fühlten sich kalt an, und ihr Gesicht wurde abwechselnd heiß und
kalt und wieder heiß, während ihr Hitze und Schrecken in Wellen über die Haut liefen.
Bonnet musterte sie, als hätte sie den Verstand verloren.
»Du liebe Güte, was hast du denn damit vor?« Er hörte auf, an seinem Hemd herumzufummeln, und trat einen Schritt auf sie zu. Sie wich einen zurück und hob den Knüppel.
»Rührt mich ja nicht an!«
Er starrte sie an, die Augen weit geöffnet, blassgrün und reglos über einem kleinen, seltsamen Lächeln. Immer noch lächelnd trat er einen weiteren Schritt auf sie zu. Dann noch einen, und die Angst kochte zu einem Wutanfall hoch. Ihre Schultern spannten und hoben sich, bereit.
»Ich meine es ernst! Bleibt, wo Ihr seid, oder ich bringe Euch um. Diesmal werde ich wissen, wer der Vater des Babys ist, und wenn ich dafür sterbe!«
Er hatte die Hand gehoben, als wollte er ihr den Knüppel entreißen, doch bei diesen Worten hielt er abrupt inne.
»Baby? Ihr bekommt ein Kind?«
Sie schluckte, und ihre Kehle war zugeschnürt. Das Blut hämmerte in ihren Ohren, und das glatte Holz war schlüpfrig von ihren verschwitzten Handflächen. Sie umklammerte es fester, um ihre Wut nicht erlöschen zu lassen, doch diese verblasste bereits.
»Ja, ich glaube schon. In zwei Wochen weiß ich es genau.«
Seine sandfarbenen Augenbrauen hoben sich.
»Hm!« Mit einem kurzen Grunzen trat er zurück, um sie neugierig zu betrachten. Langsam
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