Ein Hauch von Seide - Roman
fuhr ob der Verachtung in ihrer Stimme zusammen.
»Sicher nicht.«
Heiraten war das Letzte, wonach ihr im Augenblick der Sinn stand. Und dann auch noch den Viehtreiber – das war natürlich ebenso undenkbar wie unmöglich.
Vom Bibliotheksfenster aus sah Emerald, wie Dougie den Platz überquerte, wo er die Aufmerksamkeit einer elegant gekleideten jungen Frau erregte, als er an ihr vorbeiging. Emerald runzelte die Stirn. Dougie sah gut aus, so viel gestand sie sich widerwillig ein – er sah gut aus, war groß, hatte breite Schultern, er hatte einen Titel, war reich … Ein Mann, auf den eine Frau sich in jeder Lebenslage verlassen konnte.
Ihr Stirnrunzeln wurde tiefer. Sie bedauerte doch nicht etwa, dass sie ihn abgewiesen hatte?
Er hatte gewusst, dass Emerald nein sagen würde, versuchte Dougie sich auf dem Heimweg nach Lenchester House zu trösten. Er wurde am nächsten Morgen zur traditionellen Jagd am zweiten Weihnachtstag in Osterby erwartet, und er hätte sich längst auf den Weg machen sollen. Es war dumm gewesen, Emerald aufzusuchen, nur weil Amber, als er sie anrief, um ihnen allen frohe Weihnachten zu wünschen, zufällig erwähnt hatte, dass Emerald beschlossen hatte, in London zu bleiben. Aber Träumen war doch wohl noch erlaubt, oder?
Jay und die Mädchen machten einen Spaziergang, doch Amber hatte keine Lust gehabt, sie zu begleiten. Sie machte sich Sorgen um Rose, denn die war nicht ans Telefon gegangen, als sie sie am Morgen angerufen hatte, um ihr frohe Weihnachten zu wünschen. Ohne Rose war es kein richtiges Weihnachten. Ella hatte ihr gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen, Rose habe so viel arbeiten müssen, dass sie entweder lange schliefe oder in die Kirche gegangen wäre.
Sie machte sich auch Sorgen, dass Emerald nicht da war, aber aus anderen Gründen. Amber blickte über die vom Frost weiß überhauchten Gärten von Denham und die Parklandschaft dahinter. Sie konnte nicht umhin, an ein anderes Weihnachten zu denken, das wie dieses durch die ungeplante Empfängnis eines Kindes überschattet gewesen war. Schmerz und Schuldgefühle schnürten ihr das Herz zusammen.
Bald würde der Familie ein neues Leben geboren werden, das erste Kind einer neuen Generation, ihr erstes Enkelkind, und dieses Kind würde – ungeachtet der Umstände seiner Zeugung und Geburt – willkommen sein und geliebt werden. Ein Enkelkind. Hoffnung stieg in ihr auf, schob sich durch die Finsternis ihrer Schuldgefühle und ihrer Verzweiflung, so wie sich unter dem frostharten Boden schon jetzt die Triebe der Frühjahrs-Blumenzwiebeln entwickelten, bereit, durch die Dunkelheit ans Licht zu drängen.
Hoffnung – sicher eines der stärksten und beständigsten menschlichen Gefühle.
33
Januar 1958
Das neue Jahr war gerade eine Woche alt, da rief Ivor Rose eines Morgens in sein Büro. Er kündigte ihr und begründete es damit, er habe nicht das Gefühl, sie engagiere sich genug für ihre Arbeit. Zögernd versuchte Rose, ihm von Mr Russell, dem Schock und der Angst zu erzählen, die sie empfunden hatte, obwohl sie ihm natürlich verschwieg, dass Josh sie gerettet hatte und was dann passiert war.
Als sie am ersten Weihnachtstag endlich aufgestanden waren, hatte Josh sie mit Bagels mit Räucherlachs und Rahmkäse und heißem, starkem Kaffee verwöhnt, bevor er sie am späten Abend zu ihrer Wohnung in Chelsea begleitete.
Zuerst war sie befangen gewesen, befangen und angespannt im Licht der Intimität, die sie geteilt hatten, doch Josh hatte bald dafür gesorgt, dass Rose sich entspannte, indem er sie daran erinnert hatte, dass er ihr bester und engster Freund war und dass alles, was zwischen ihnen geschah, natürlich und verständlich war und man nicht weiter darüber nachdenken musste, außer voller Dankbarkeit dafür, dass er für sie da gewesen war. Und jetzt, sagte sie sich ironisch, hatte sie wenigstens einen Maßstab, an dem sie die Küsse anderer Männer messen konnte, denn was das Küssen anging, wusste sie instinktiv und ohne auf irgendwelche Erfahrungen zurückgreifen zu können, dass Josh sehr gut war.
Ihr Chef war jedoch nicht in der Stimmung, sich ihren Bericht über den Vergewaltigungsversuch in der Wohnung der Russells anzuhören. Er war vielmehr so wütend auf sie, dass er ihr alles, was sie zu ihrer Verteidigung vorzubringen versuchte, im Mund verdrehte. Da wusste Rose, dass Mr Russell seine Version der Geschichte schon vorgetragen hatte.
»Hier ist kein Platz für jemanden, der Anweisungen
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