Ein Hauch von Seide - Roman
dagegen ankam, nahm von ihr Besitz. Zu ihrem eigenen Erstaunen streckte sie die Hände nach ihrem Sohn aus.
Schweigend reichte die Krankenschwester ihn ihr.
Er war schwerer, als sie erwartet hatte: 3940 Gramm, hatte die Hebamme anerkennend bemerkt. Emerald forschte in seinem Gesicht nach einer Ähnlichkeit mit ihr oder Alessandro, konnte jedoch keine finden. Stattdessen sah er … sah er aus wie …
»Nehmen Sie ihn weg«, befahl sie der Krankenschwester aufgebracht.
Wie konnte es sein, dass ihr Sohn sie irgendwie an Dougie erinnerte? Das war einfach unmöglich, und doch hätte Emerald schwören können, dass das Baby und Dougie ganz eindeutig denselben festen Blick besaßen.
Emerald schloss die Augen und überließ sich dem hektischen Herumhantieren des Klinikpersonals.
Es war später Abend, als Amber in die Entbindungsklinik kam. Emeralds Wehen hatten eine Woche zu früh eingesetzt, daher war Amber nicht, wie geplant, bei ihrer Tochter in London gewesen. Eine Schwester hieß sie willkommen und fragte sie, ob sie ihren Enkelsohn sehen wolle, denn ihre Tochter schlafe noch.
»Er hat schönes, volles Haar«, sagte die Schwester, die ihr den Weg ins Säuglingszimmer gezeigt hatte.
Amber pflichtete ihr bei, doch ihre Aufmerksamkeit galt allein ihrem Enkelsohn. Sein Anblick verschlug ihr den Atem, und ihr Herz fühlte sich an, als würde es von einer gigantischen Hand zusammengedrückt, so sehr fühlte sie sich daran erinnert, wie sie ihren eigenen Sohn, Luc, nach seiner Geburt das erste Mal gesehen hatte. Amber konnte nicht anders, sie streckte die Arme aus und hob das Baby aus seinem Bettchen. Erstaunlich, dass einem bestimmte Handgriffe und Instinkte nie abhandenkamen. Sie war erfüllt von einer Mischung aus Staunen und Schmerz. Sie hätte auch eine junge Mutter sein können, die zum ersten Mal ihr Kind im Arm hielt, die die erste Woge mütterlicher Liebe empfand und das Gefühl freudigen Wiedererkennens, wenn Mutter und Kind einander das erste Mal sehen und um das Band wissen, das sie verbindet. Das Baby schlug die Augen auf und sah sie an. Ambers Herz lief über.
Janey schlug besorgt die Augen auf und sah sich in dem fremden Schlafzimmer um. Dem Himmel sei Dank, sie war allein im Bett. Unerwünschte Bilder des vergangenen Abends stiegen vor ihrem inneren Auge auf. Sie erinnerte sich nicht mehr, wer von den jungen Frauen und Männern, die jeden Samstagabend miteinander ausgingen, vorgeschlagen hatte, nach Eel Pie Island zu fahren, aber sie wusste noch, dass sie es für eine tolle Idee gehalten hatte.
Der Nachtclub auf Eel Pie Island genoss einen gefährlich verruchten und daher sehr attraktiven Ruf. Hier trafen Rock ’n’ Roll und Jazz aufeinander und kollidierten zuweilen. Die Schlägereien am Samstagabend hatten ihren Anteil an seiner Berühmtheit, zusammen mit der besten Musik, den besten Musikern und den hübschesten und wildesten Mädchen.
Janey hatte ihre neueste Schöpfung getragen, ihre eigene Variation eines entzückenden kleinen Kleids, das sie in der Woche zuvor in Mary Quants Bazaar gesehen hatte – es lag jetzt zusammengeknüllt auf dem staubigen Boden des kleinen, beengten möblierten Zimmers eines Mannes, an dessen Gesicht sie sich kaum erinnern konnte, dessen Körpergeruch aber in seiner Bettwäsche und an ihrer Haut klebte. Statt an ihn zu denken und an das, was passiert war, betrachtete sie ihr Kleid, dessen Baumwollstoff von einem dunklen, trüben, mit strahlend rosafarbenen Blumen durchsetzten Pflaumenblau war, das ihr blondes Haar, das sie jetzt länger und mit Außenrolle trug, betonte, genau wie bei den Mannequins in den Zeitschriften. Und genau wie diese hatte sie auch schwarzen Eyeliner und blassrosa Lippenstift aufgelegt.
Janey konnte sich noch erinnern, wie aufgeregt sie gewesen war, als ihre Freundinnen sie darauf aufmerksam gemacht hatten, dass der Leadgitarrist einer der Bands immer wieder zu ihr herüberschaute. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, nicht beeindruckt zu sein, als er ihr von der Bühne aus ein Lied gewidmet hatte: »Dem Mädchen mit dem blonden Haar hier vor mir, mit dem ich ins Bett gehe, sobald ich die Gelegenheit kriege.«
Doch natürlich war sie beeindruckt gewesen, und natürlich hatte sie mit ihm getanzt, als seine Band von einer anderen abgelöst worden war. Er war gefährlich sexy, sein dunkles Haar war lang und schweißverklebt, sein Körper dünn und drahtig, sein Griff, mit dem er sie beim Tanzen hielt, fest und selbstsicher. Sein Name war,
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