Ein Hauch von Seide - Roman
leise in ihr Kissen geweint hatte, und ihr war wegen Joshs Neuigkeit immer noch übel. Sie wusste, was er gesagt hatte, doch zu akzeptieren, dass es tatsächlich geschehen würde, dass sie ihn tatsächlich ganz verlieren würde, war ihr schier unerträglich. Sie hatte sich lange Zeit von den kleinen Krumen seiner Zuneigung und seiner Freundschaft ernährt, doch jetzt würde sie bald allein zurechtkommen müssen. In der Nacht hatte sie nichts anderes gewollt, als sich die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und einfach aufzuhören zu existieren, doch das war natürlich unmöglich. Sie hatte schließlich eine Verantwortung gegenüber ihren Kunden. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, emotional auf eigenen Füßen zu stehen, doch im Augenblick hätte sie, wie sie sich kleinlaut eingestand, alles gegeben, um jemanden zu haben, an den sie sich wenden konnte, jemanden, der älter und klüger war, und vor allem jemanden, der sie liebte und dem etwas an ihr lag.
Jemanden? Meinte sie in Wirklichkeit nicht ihre Tante Amber? Das war alles Vergangenheit, ermahnte Rose sich. Als ihr bewusst geworden war, wie sehr ihre Tante sie enttäuscht hatte, hatte sie das Gefühl der Bitterkeit und des Verraten-worden-Seins unterdrückt. Am Ende war es leichter, einfach so zu tun, als wäre alles wie immer, selbst wenn Amber und sie wussten, dass sich zwischen ihnen etwas verändert hatte, und obwohl es bedeutete, allein mit Traurigkeit und Verlust fertig zu werden. Doch jetzt musste sie auch noch den Verlust von Josh verkraften, und Rose wusste nicht, ob sie dazu stark genug war.
»Das Haus in Sussex gehört einem Rocksänger, aber David hat nicht gesagt, wem. Er hat nur gesagt, er habe zu viel zu tun, um sich darum zu kümmern, und dachte, der Auftrag könne mir liegen«, erklärte sie Janey.
Rose hatte stundenlang wach gelegen, nachdem sie von der Verabredung mit Josh nach Hause gekommen war, und es fiel ihr an diesem Morgen schwer, normal zu erscheinen.
»Und hast du etwas Besonderes vor, Janey?«
»Nein, ich habe für die Modenschau der neuen Saison im September noch einiges fertig zu machen. Ich warne dich jetzt schon, dass ich dich wieder als Mannequin brauche. Cindy findet, ich sollte eine preiswertere Kollektion für den amerikanischen Markt entwerfen, so was wie Mary Quants ›Ginger Group‹-Kollektion, und ich habe ihr versprochen, ich würde versuchen, mir etwas einfallen zu lassen. Heute Abend gehe ich mit Charlie zu Annabel’s . Wenn du rechtzeitig wieder da bist, könntest du doch mitkommen?«
Rose nickte, obwohl ihr in Wirklichkeit überhaupt nicht der Sinn danach stand, sich unter die Leute zu mischen. Josh würde jetzt in dem Frisiersalon in der King’s Road sein, den er immer noch als sein Flaggschiff betrachtete. Rose schloss die Augen und gab sich ganz ihrer schmerzlichen Sehnsucht nach ihm hin.
In dem Salon würde es ungestüm und hektisch zugehen, schließlich war Freitag, Modepüppchen aus der King’s Road würden kichernd den neuesten Klatsch austauschen und mit den Friseuren flirten und die neuesten Frisuren verlangen, um bereit zu sein für das gesellschaftliche Treiben am Wochenende.
Auf einen Außenseiter würde das Ganze unglaublich chaotisch wirken – laute Musik, Friseure, die auf Hochtouren arbeiteten, während verschreckte Auszubildende Haare wuschen und den Boden kehrten –, doch für Josh waren sie alle Teil eines Orchesters, das er dirigierte. Nichts blieb ihm verborgen, während er beschwichtigte, Komplimente verteilte, schmeichelte und arbeitete.
Automatisch fuhr Rose an ihren perfekt geschnittenen Bubikopf. Wenn er nach New York ging, musste sie sich einen neuen Friseur suchen. Tränen brannten in ihren Augen, und sie blinzelte sie hektisch weg.
Roses Termin war um drei Uhr am Nachmittag. Das war ihr eigentlich zu spät, denn sie musste danach ja noch zurück nach London fahren. Doch daran lässt sich nichts ändern, dachte sie, als sie sich in ihrem roten Mini auf den Weg nach Sussex machte.
Es war ein sonniger Tag, und sie trug ein Outfit, das sie liebte und das sie angezogen hatte, um ihre Stimmung zu heben, ein Kleid aus Janeys Sommerkollektion in einem wunderschönen Antikgelb mit einer breiten bedruckten Borte in weichem Schwarz, fast wie ein griechischer Fries. Janey hatte das Kleid so geschnitten, dass es kurz war und wie ein schmal geschnittenes Etuikleid über den Kopf glitt, aber lange, fast mittelalterlich anmutende Ärmel hatte. Der Stoff war so dünn und zart, dass es
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