Ein Hauch von Seide - Roman
nie eine jener Frauen geworden wäre, mit denen Max sie verglichen hatte. Der Groll und die Eifersucht, die sie überkamen, wenn Robbie sich Drogo anschloss und sie abwies. Die Angst und die Ablehnung, die sie empfand, sooft sie sich daran erinnerte, wie sie sich im Krankenhaus gefühlt hatte, Roses Jeansjacke in Händen. Sie erstarrte, als sie Drogos Hand auf ihrem Arm fühlte.
»Ich könnte Robbie doch mit nach Lenchester House nehmen. Dann kannst du zum Mittagessen gehen, ohne dich um ihn sorgen zu müssen.«
»Nein. Glaubst du etwa, ich wüsste nicht, dass er genau darauf hofft, wenn er behauptet, er hätte Kopfschmerzen? Nein, er kommt mit mir.«
Der Blick in Drogos Augen, eine Mischung aus Empörung und Mitleid, heizte ihre schlechte Laune noch mehr an. Emerald packte ihren Sohn am Arm und sagte kurz angebunden: »Du kannst jetzt damit aufhören, Robbie, denn es funktioniert nicht. Komm, es ist Zeit, nach Hause zu gehen und uns zum Mittagessen umzuziehen.«
»Oh, dann hast du Robbie doch nicht mitgebracht?«, fragte Jeannie Emerald, als sie sich umarmten.
»Nein.«
Emerald schäumte immer noch vor Wut über Robbie. Als sie ihm gesagt hatte, er solle runtergehen und auf sie warten, bis sie sich fertig gemacht hatte, hatte er gesagt, ihm sei übel, und sich prompt übergeben. Absichtlich herbeigeführte Übelkeit natürlich. Sie konnte sich gut erinnern, dass sie das als Kind auch so gemacht hatte. Bei Nanny hatte es immer funktioniert, doch sie war aus anderem Holz geschnitzt. Sie hatte Robbie hochgeschickt und ihm gesagt, er solle sich ausziehen und baden, so könne sie ihn unmöglich mitnehmen, er müsse allein zu Hause bleiben – im Bett. Er hatte zweifellos gehofft, sie würde klein beigeben und ihn nach Lenchester House zu Drogo schicken. Ja, sie traute es Drogo sogar zu, dass er dem Jungen zugeredet hatte, sich so anzustellen, nur um sie zu ärgern. Nun, die beiden würden lernen müssen, dass Robbie zu tun hatte, was sie sagte.
»Das ist wahrscheinlich auch ganz gut so. Schau nur, wie voll es hier ist. Ich dachte, da alle über den Sommer die Stadt verlassen haben, wäre es praktisch leer. Aber da hatte ich nicht mit den amerikanischen Touristen gerechnet.«
Emerald musste warten, bis sie an ihrem Tisch saßen und der leichte Salat, den sie bestellt hatten, vor ihnen stand, bis sie fragte: »Also, erzähl, was gibt es Wichtiges?«
»Es geht um Max.« Jeannie beugte sich über den Tisch und fuhr in einem gedämpften Flüstern fort: »Er ist seit Wochen nirgendwo mehr aufgetaucht. Ich dachte, das läge daran, dass ihr euch getrennt habt, aber anscheinend steckt er in großen Schwierigkeiten. Er wurde verhaftet, dem Vernehmen nach im Zusammenhang mit diesem schrecklichen Mord im East End. Du weißt schon, wo das Opfer zu Tode geprügelt wurde. Die Zeitungen waren voll davon.«
»Du meinst diese Unterweltgeschichte …«
»Schscht …«, warnte Jeannie sie. »Peter sagt, wir sollten nicht über ihn reden, falls die Polizei auf die Idee kommt, uns Fragen zu stellen, aber ich habe gehört, dass Max einem hohen Tier aus dem East End einen Haufen Geld schuldet. Er hat immer gern um große Summen gespielt.« Jeannie schauderte leicht, doch Emerald sah, dass sie eher aufgeregt war als besorgt.
»Ich nehme an, du triffst dich nicht mehr mit ihm?«
Emerald kniff die Lippen zusammen. Jeannie wollte also nicht nur kundtun, was sie wusste, sie hoffte auch, ein paar saftige Häppchen von Emerald aufzuschnappen.
»Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Es war von Anfang an eine sehr lockere Angelegenheit«, fügte sie hinzu und zuckte, um es zu unterstreichen, herablassend die Achseln. »Und wenn du mich nicht mit ihm bekannt gemacht hättest, hätte ich ihn keines zweiten Blickes gewürdigt.«
»Also, wir hatten ja keine Ahnung, dass er sich immer noch … mit der Unterwelt abgibt. Er hat immer den Eindruck erweckt, er hätte das alles hinter sich gelassen.«
»So, wie wir ihn hinter uns lassen sollten«, sagte Emerald spitz.
Weil in dem Restaurant so viel los war, wurde es ziemlich spät, bis sie und Jeannie sich voneinander verabschiedeten. Auf dem Heimweg sagte sich Emerald, dass es Robbie sicher gutgetan hatte einzusehen, dass er sich nicht so benehmen konnte. Er wurde schnell groß. Bald fing das neue Schuljahr an, und das hieß, dass sie mit ihm zu Harrods gehen musste, um die Teile seiner Schuluniform zu ersetzen, aus denen er herausgewachsen war.
Robbie war ein guter Schüler, sein
Weitere Kostenlose Bücher