Ein Hauch von Seide - Roman
erben«, hatte Emerald gesagt, auch wenn sie wusste, wie Drogo darauf reagieren würde. Sie hatten schließlich schon oft darüber diskutiert, und Drogo hatte erwartungsgemäß entgegnet: »Du bist mir viel wichtiger als ein Erbe, Emerald, das weißt du doch. Dieser Steptoe sagt doch selbst, dass er bis heute keinen einzigen Erfolg hatte und das ganze Verfahren mit großen Risiken verbunden ist.«
Doch sie hatte nicht klein beigegeben, und schließlich war er zögernd weich geworden. In der Nacht hatte sie ihn – im Bett – dafür belohnt, und sie war überrascht gewesen, wie befreiend es auch für sie war, ohne Erwartungsdruck mit ihrem Mann zu schlafen. Es war lange her, seit sie Sex als etwas anderes betrachtet hatte denn als Mittel zum Zweck, einen Sohn zu empfangen.
In dieser Nacht war zwischen ihnen eine neue sexuelle Intimität entstanden, doch sie würde nur von kurzer Dauer sein. Sobald ihre Behandlung anfing, würde sie all ihre Kraft darauf richten. Sie hatte nicht vor, das Ergebnis durch irgendetwas in Gefahr zu bringen.
Am Vormittag würde sie zu dem Krankenhaus fahren, um mit den Tests zu beginnen, die am Ende dazu führen würden, dass man ihr Eizellen entnehmen würde, die in der Retorte befruchtet und dann in ihren Bauch transplantiert werden sollten, um endlich den ersehnten Erben zu produzieren. Es gab natürlich keine Garantie dafür, dass sie einen Jungen bekommen würde, doch wenn sie auf diese Weise schwanger werden sollte, war sie fest entschlossen, das Verfahren so oft zu wiederholen, bis sie endlich einen Sohn bekam.
Dr. Steptoe hatte zuerst gezögert, sie zu dem Programm zuzulassen, denn er wollte es ihretwegen nicht unterbrechen, doch dann war eine andere Frau abgesprungen, und er hatte sie angerufen, um sie darüber zu informieren, dass sich eine Gelegenheit ergeben habe, wenn sie also Zeit habe, könne sie doch noch einsteigen. Wenn sie Zeit hatte … Nichts hätte sie daran hindern können, sich die Zeit dafür zu nehmen.
Das schrille Läuten des Telefons riss sie aus ihren Gedanken.
Das Telefon hatte auch Drogo geweckt. Er schaltete die Nachttischlampe ein und griff nach dem Hörer. Er schlief nackt – genau wie sie –, und als er sich bewegte, rutschte ihm die Decke von den Schultern, sodass sie seinen gebräunten, muskulösen Rücken sehen konnte. Sein Körper war straff und männlich auf eine Art, die sie immer noch erregte, und sie rückte näher zu ihm, während er den Anruf entgegennahm.
57
»John! Jay hatte einen Herzinfarkt?« Drogos Stimme klang gepresst vor Schock und Unglauben.
Emerald erstarrte. Ihr Stiefvater war ein vitaler, gesunder Mann – wie konnte er einen Herzinfarkt gehabt haben? Sie beugte sich näher zum Telefon und stützte sich mit einer Hand auf Drogos nackter Schulter ab, um das Gespräch zu belauschen.
»Er ist also im Krankenhaus in Macclesfield, und Amber ist bei ihm. Hast du mit Amber persönlich gesprochen? Nein. Seid du und Janey jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus? Haben sie angedeutet, wie schwer der Infarkt war? Verstehe, sie warten also noch die Untersuchungsergebnisse ab. Ja, die ersten vierundzwanzig Stunden sind heikel. Wir sagen Robbie und den anderen Bescheid, dann könnt ihr ohne weitere Verzögerung ins Krankenhaus fahren. Sag Amber liebe Grüße und sag ihr, dass wir an sie denken.«
»Jay hatte einen Herzinfarkt?«, fragte Emerald nach, als Drogo den Hörer aufgelegt hatte.
»Ja. Nach dem, was das Krankenhaus John gesagt hat, ist es in den frühen Morgenstunden passiert, und das Krankenhaus kann oder will noch nicht sagen, wie ernst es war. Ich habe gesagt, dass wir den anderen Bescheid geben.«
»Ja, das habe ich mitbekommen. Janey fährt ins Krankenhaus?«
»Ja. John hat gesagt, sie rufen uns von dort an, sobald es etwas Neues gibt.« Er schwang die Beine aus dem Bett. »Die Telefonnummern der anderen …«
»… sind in dem Buch in meinem Schreibtisch in der obersten Schublade rechts. Drogo, du weißt, dass ich heute einen Termin bei Dr. Steptoe habe?«, fragte Emerald.
»Ja.«
Er zog seinen Morgenmantel über. Der Himmel war noch schwarz, zögerte noch, die Dunkelheit an den Morgen abzutreten, wie die Bewohner der schlafenden Stadt zögerten, die tröstliche Wärme ihrer Betten zu verlassen und sich hinaus in den rauen Februar zu begeben. Die Zentralheizung war schon angesprungen, Emerald hörte das vertraute Gurgeln, mit dem das System hochfuhr, um das Haus zu wärmen.
»Vermutlich denkst du, ich sollte
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