Ein Haus für vier Schwestern
alles kaum in den kleinen Koffer, aber sie wusste, dass Christina nicht viel dabei haben würde. Sie wollte daneben nicht wie eine der Frauen wirken, die immer den ganzen Kleiderschrank mitschleppen.
»Ich habe heute mit Sharon gesprochen.«
Das klang nicht gut. Sharon stachelte Stephanie immer auf, und das tat ihr gar nicht gut. Die Auswirkungen waren tagelang zu spüren.
»Wie geht es ihr?«
»Gut. Sie trifft sich mit einem Typen, den sie beim Chatten kennengelernt hat.«
»Das finde ich ziemlich beängstigend.«
»Er will, dass sie im November mit ihm nach Colorado zum Skifahren geht. Deswegen kommt sie nicht zu mir.«
»Das ist aber schade«, sagte Elizabeth und versuchte, ihre Freude darüber nicht zu zeigen.
Thanksgiving wäre die Familie zum ersten Mal seit fast einem Jahr wieder vereint. Michael und Eric würden dann von Stephanies Schwangerschaft erfahren.
Mit Sharon als Gast hätte die Situation schnell entgleisen können.
»Netter Versuch. Ich weiß schon, dass du nicht scharf auf ihren Besuch bist.«
Stephanie weinte. Das passierte in letzter Zeit dauernd. Elizabeth war nicht sicher, wie viel davon den Hormonen und wie viel ihrer depressiven Stimmung geschuldet war.
»Vielleicht kann sie ja in den Semesterferien nach Weihnachten kommen.«
Stephanie wäre dann im achten Monat, rund und unbeweglich und kaum willens und in der Lage, die Dinge zu tun, die Sharon für lebensnotwendig erachtete. Wie zum Beispiel die örtliche Singleszene zu erkunden.
»Das macht sie bestimmt nicht. Ist mir auch egal.«
Sie rollte sich auf die Seite, zog ein Kleenex aus der Schachtel auf dem Nachttisch und schnäuzte sich.
»Ich habe ihr erzählt, dass ich spüre, wie das Baby sich bewegt. Das fand sie eklig.«
Stephanies Körper veränderte sich. Sie nahm das Kind, das in ihr heranwuchs, immer deutlicher wahr und wollte es beschützen. Das machte Elizabeth glücklich und traurig zugleich.
»Wenn sie zur Kenntnis nimmt, was mit dir geschieht, muss sie zugeben, dass ihr dasselbe passieren könnte.«
»Ich wollte, das wäre so.«
»Nein, willst du nicht.«
Sie nahm noch ein Papiertuch und wischte sich die Tränen ab. »Ich gehöre nirgends mehr dazu. Und egal was ich mache, es wird nie wieder werden wie früher. Ich bin anders als die anderen.«
Elizabeth stellte den Koffer auf den Boden und setzte sich neben Stephanie.
»Wenn ich könnte, würde ich die ganzen Probleme wegzaubern und dich wieder zu dem Mädchen machen, das du warst. Doch du hast etwas getan, das Konsequenzen hat, und mit denen musst du leben. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht ohne Folgen wegzaubern, Stephanie. So ist das Leben eben.«
»Du denkst, ich hätte abtreiben sollen«, sagte Stephanie tonlos.
Nun waren sie wieder beim Thema. Stephanie konnte es einfach nicht lassen.
»Nur weil ich meine, dass jede Frau das Recht hat, diese Wahl zu treffen, heißt das noch lange nicht, dass ich die Wahl an sich gutheiße.«
»Was hättest du denn gemacht?«
»Das spielt keine Rolle.«
»Ich will es aber wissen.«
»Und ich werde dir nicht antworten. Du musst selbst entscheiden, was für dich richtig ist. Dein Vater und ich werden dich und dein Baby immer unterstützen.«
»Warum sagst du immer dein Baby und nicht einfach das Baby?
»Du musst dir auch in deinen Formulierungen klarmachen, was mit dir geschieht. Nächste Woche wirst du wissen, was für ein Geschlecht dein Kind haben wird. Dann wird aus dem Es eine Sie oder ein Er.«
Nach Monaten der Weigerung hatte sich Stephanie erst kürzlich zu der Untersuchung entschlossen. Jetzt sah sie ihre Mutter traurig an. »Warum tust du mir das an? Warum bist du so hart zu mir?«
Elizabeth zog ihre Tochter in ihre Arme. Sie war ihr Baby, ihr Kind, das sie jenseits aller Vernunft über alles liebte.
»Weil es richtig ist. Ich will nicht, dass du dich dein Leben lang fragst, ob du die richtige Entscheidung getroffen hast. Du sollst sorglos zurückblicken können, wenn du mal so alt bist wie ich.«
Sie fragte absichtlich nicht, was Stephanie einem zur Adoption freigegebenen Kind erzählen würde, wenn es erwachsen war und Antworten von seiner leiblichen Mutter haben wollte. Dass sie ein Leben mit Kind zu kompliziert gefunden hatte? Die Frauen hatten für ihr Recht auf eine freie Wahl gekämpft. Aber bis zum heutigen Tag hinterließen alle Alternativen Narben auf der Seele.
»Ich will keine Mutter werden. Vielleicht irgendwann einmal, aber noch nicht jetzt. Ich bin einfach noch nicht bereit
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