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Ein Haus für vier Schwestern

Ein Haus für vier Schwestern

Titel: Ein Haus für vier Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgia Bockoven
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stellte Jessies Aufzeichnungsgerät daneben. Sie nahm die CD heraus, die sie schon gehört hatte, und legte die nächste ein. Dann verließ sie die Welt, der Jessie bald nicht mehr angehören würde, und tauchte in seine Jugendzeit ein.
    Jessies Geschichte
    Egal, wie viel Öl du aus dem Boden pumpst: Solange du es nicht dort hinschaffst, wo man es braucht, ist es nichts wert. Das lernte ich auf die harte Tour, als ich mir den linken Arm brach. Damit konnte ich nur noch vier- oder fünfmal am Tag den Lieferwagen nach Coulter City fahren, um Nachschub und Vorräte abzuholen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den Dreh raus hatte, mit meinen Knien zu steuern und mit der guten Hand zu schalten. Am Ende konnte ich das so perfekt, dass ich dabei geblieben bin, nachdem der Gips abgenommen war.
    Immer gab es auch Leute, die auf die Ölfelder mussten, um dort etwas zu erledigen, und die mit mir mitfuhren. Ich fand es sinnvoll, die Zeit mit ihnen zu nutzen, um Dinge zu lernen, die ich nicht wusste, und stellte ihnen eine Menge Fragen.
    Einer der Männer, Alden Atkins, war gekommen, um Wegerechte auf dem Land von Viehzüchtern zu pachten. Er wollte eine Pipeline zwischen den Ölfeldern und der Eisenbahnlinie bauen. Er erzählte mir, dass die meisten Männer, mit denen er zu tun hatte, froh über das zusätzliche Geld waren, das der Handel ihnen einbrachte. Doch ab und zu gab es auch einen, der nichts mit dem Öl zu tun haben wollte.
    Natürlich wollte ich von ihm wissen, was er dann machte. Seine Antwort stimmte mich nicht besonders froh. Da, wo ich herkam, kam einer ins Gefängnis, wenn er Vieh tötete oder eine Scheune anzündete. Hier sah es so aus, als ob die Nachbarn beide Augen zudrückten, wenn jemand verhindern wollte, dass sie ihr Geld bekamen. Geld, das es ihnen ermöglichte, ihren Betrieb vor dem Zugriff der Bank zu retten.
    Darüber musste ich oft nachdenken, wenn gerade keiner mit mir mitfuhr. Wenn man Menschen dazu bringen wollte, einem zu gehorchen, musste man ihnen eine Höllenangst einjagen.
    Das gab mir immer noch zu denken, als ich eine Woche später eine Nachtfahrt machte und einen Mann aufgabelte, der mit seinem Auto einen Hirsch erwischt hatte. Er blutete vom Aufprall auf die Windschutzscheibe am Kopf und wollte eigentlich in die Stadt, um die Wunde nähen zu lassen. Doch er lief in die verkehrte Richtung. Wäre ich nicht gekommen, hätte er am Morgen mit einer Krähe auf der Brust im Straßengraben gelegen.
    Als wir nach ein paar Meilen an seinem Auto vorbeikamen, wurde ihm klar, dass ich ihm das Leben gerettet hatte und er mir was schuldete.
    Kurz und gut: Was er mir in dieser Nacht erzählte, führte dazu, dass ich zwei Jahre später mein eigener Herr war. Weitere sechs Monate später wohnte ich in einem massiven Holzhaus und fuhr meinen eigenen Pick-up.
    Der Kerl verlangte absolute Geheimhaltung von mir, bevor er mir von der Raffinerie erzählte, die seine Firma in New Mexico bauen wollte. Fünfzig Meilen näher an Coulter City als die Eisenbahn – und auf der anderen Seite im Westen der Stadt. Niemand hatte dort bisher Wegerechte erworben. Wozu denn auch.
    Am nächsten Tag hielt ich bei einer meiner Stadtfahrten bei Chapman’s, dem größten und besten Kaufhaus weit und breit. In den sechs Monaten seit meiner Ankunft war aus Coulter City eine richtige Stadt geworden. Wo es vorher nur eine Autoreparaturwerkstatt, eine Holzhandlung und ein Restaurant gegeben hatte, drängten sich zwölf Kaufhäuser, zwölf Lebensmittelläden, siebzehn Holzhandlungen, achtunddreißig Cafés, zwölf Lagerhäuser und zehn Drogerien, die auch Medizin verkauften. Die Ölarbeiter wohnten in Hütten aus Fichtenbrettern und Leinwandzelten, die sich von der Hauptstraße aus schmetterlingsförmig ausbreiteten.
    Ein Angestellter bei Chapman’s half mir, die Hälfte meiner Ersparnisse für Anzug, Krawatte, Hemd, Schuhe und den schönsten Filzhut auszugeben, der je in Texas verkauft worden war. Mir klappte die Kinnlade herunter, als der Verkäufer mich aus dem Ankleidezimmer zum Spiegel führte. Dort blickte mir kein Junge entgegen, sondern ein völlig fremder Mann.
    Keiner meiner Bekannten besaß so feine Kleidung oder so einen Hut. Ich stand da und versuchte, mir vorzustellen, wie ich an die Tür eines Farmhauses klopfte und mit dem Farmer über Geschäfte sprach. Was würde mein Vater von mir denken, wenn er mich in diesem Aufzug vor seiner Tür stehen sähe? Die Schuhe sahen zu neu und die Anzugjacke zu glatt aus, als dass

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