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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Geschäft umgesehen? Und warum hatte er ihr nichts davon gesagt, wenn er es getan hatte?
    Sie nahm das Briefbündel aus der Schublade und zog die Gummischnur herunter. Die Briefe fühlten sich merkwürdig steif an, als enthielten sie etwas anderes als nur den Briefbogen allein. Frau Knopka griff mit spitzen Fingern in den ersten Umschlag hinein und zog einen zweimal gefalteten Bogen heraus, in den eine Fotografie eingelegt war. Die Fotografie einer Frau! Eines ziemlich j ungen Frauenzimmers, das ihr frech ins Gesicht starrte und einen ärmellosen Pullover mit weitem Ausschnitt trug, der sehen ließ, daß die Dame nicht gerade Salzfässer am Halse hatte. Ihr zitterten die Hände, als sie den Bogen entfaltete, und sie erstarrte, je länger sie in den mit der Maschine geschriebenen Zeilen las...

    Mein Herr!
    Es ist das erstemal, daß ich mich auf ein Heiratsinserat melde. Aber Sie haben recht, so ungewöhnlich scheint es nicht mehr zu sein, daß sich zwei Menschen auf eine Zeitungsannonce hin kennenlernen. Was mich in Ihrem Inserat angesprochen hat, ist die Bemerkung, daß Ihnen der Charakter Ihrer zukünftigen Frau wichtiger als die Mitgift ist, die sie mitbringt. Um gleich auf diesen Punkt zu kommen, den ich doch nicht für ganz unwichtig halte, so kann ich Ihnen sagen, daß ich mir als Angestellte eines Kaufhauses von meinem Gehalt so viel beiseite legen konnte, daß ich ein paar Möbelstücke und eine gute Wäscheausstattung besitze. Mich selber zu beschreiben, fällt mir schwer, denn ich möchte mich weder loben noch tadeln. Ich möchte mich drauf beschränken, Ihnen zu sagen, daß ich sparsam und häuslich bin, und auch zugreifen kann, wenn es darauf ankommt. Ich bin 38 Jahre alt. Über mein Äußeres sagt Ihnen mein Foto Bescheid, das ich Ihnen aber nur gegen Ihre Versicherung strengster Diskretion zugesandt habe. Bevor ich Ihnen jedoch meinen Namen nenne, möchte ich mich mit Ihnen vorher noch eine kleine Weile brieflich unterhalten. Wenn Sie mir also schreiben wollen, so richten Sie Ihre Briefe bitte postlagernd an das Hauptpostamt am Bahnhof unter dem Kennwort >Herbstzeitlose<.

    Frau Knopka war viel zu erregt und auch viel zu sehr Partei, um über diesen im Grunde doch recht gewandt geschriebenen Brief ein ruhiges Urteil fällen und das Foto ohne Galle betrachten zu können. Sie vergaß völlig, daß sie sich in den letzten Jahren mehr als ein gutes Dutzend Male auf solche Inserate hin selber gemeldet hatte, wenn sie es dabei aus gewissen Gründen auch vorgezogen hatte, auf die Beilage einer Fotografie zu verzichten. Sie flatterte am ganzen Leibe und konnte die Tasse nur mit zitternden Händen zum Mund führen. Ihre zornige Wallung aber richtete sich nicht nur gegen die zwanzig Schreiberinnen, sondern auch gegen ihren Schwager Brieskorn, der hinter ihrem Rücken solches getan.
    Dieser niederträchtige Heimtücker! Da plagte man sich ab -und schuftete von früh bis spät, zuerst aus reinem Mitleid mit dem Witwer und Schicksalsgenossen, und dann, weil man eben doch hoffte, daß diese Mühe belohnt würde, ja, und dann war das hier die Quittung! Sie las Brief um Brief und betrachtete Bild um Bild. Und was für Briefe und was für Bilder darunter waren! Da war der erste von der Herbstzeitlose noch geradezu harmlos und vornehm. Ob Brieskorn sich diesen Brief sozusagen als Rosine obenauf gelegt hatte? Sollte die Herbstzeitlose die zukünftige Frau Brieskorn werden? Für einen Augenblick war Frau Knopka daran, die Treppe hinaufzulaufen und ihr Herz, wie schon manchmal, der alten Frau Düsenengel auszuschütten, aber dann fiel ihr ein, daß die alte Frau ja längst unter der Erde lag. Und sie legte den Kopf in die Arme und begann bitterlich zu weinen.
    Und dann kam eine neue Welle des Zorns über sie. Dieser Schuft von Brieskorn, für den sie sich abgerackert hatte! Dieser alte Narr mit seiner Glatze und mit seinem Bauch! Was wollte er eigentlich? Wenn er wenigstens noch nach Geld geschielt hätte, das wäre zu verstehen gewesen. Aber in allen Briefen kehrte wieder, daß er in seinem Inserat geschrieben zu haben schien, er lege auf Vermögen seiner Zukünftigen keinen Wert, sondern wünsche sich von ihr nichts als einen liebevollen Charakter... Charakter! Ha! Sie wußte jetzt, was er unter Charakter verstand, wenn sie sich die Fotos ansah, die er - wahrscheinlich als für die engere Wahl in Betracht kommend - obenauf gelegt hatte. Und war als Nummer zwei nicht wahrhaftig ein Biest von dreiundzwanzig Jahren dabei,

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