Ein Haus geteilt durch 8
erledigen lassen. Herr von Krappf, vom Standpunkt ausgehend, daß Arbeit niemand schände, hatte seiner Schwester untersagt, sich eine Putzfrau zu nehmen. Fräulein Elfriede von Krappf begrüßte das ältere Hausmeisterehepaar im stillen am meisten, denn es war ihr sehr peinlich, im Stiegenhaus dabei getroffen zu werden, wenn sie hochgeschürzt die Eichenstufen spänte oder die steinerne Kellertreppe nach dem Besuch des Kohlenmanns mit Bürste und Seifenlauge abschrubben mußte.
Zufällig war Dr. Lindberg daheim, als die neuen Mieter einzogen. Wichtige Arbeiten schrieb er meistens zu Hause, da es ihm in der Redaktion zu unruhig war. Er war gerade dabei, zu einer wichtigen und umstrittenen Frage der Kulturpolitik Stellung zu nehmen, denn das Unterrichtsministerium hatte die Verfügung erlassen, daß es den Lehrern fortan erlaubt sein solle, geringe Verstöße gegen die Schulordnung und Disziplin durch gelinde Ohrfeigen auf der Stelle zu ahnden. Dr. Lindberg war im Prinzip durchaus nicht dagegen, den Watschenbaum bei passender Gelegenheit Umfallen zu lassen, ihn bewegte aber doch die Frage, was unter einer gelinden Ohrfeige zu verstehen sei. Denn was ein Mann von schwächlicher Körperkonstitution an gelinden Watschen austeilte, mußte naturgemäß himmelweit davon verschieden sein, was ein anderer unter gelind verstand, dem die Natur die Kräfte eines Schmeling mitgegeben hatte.
Es war zur Kaffeestunde, als vor dem Hause ein kleiner Lieferwagen jenes Unternehmens vorfuhr, das sich allgemein >Rote Radler< nennt. Da es hier jedoch grüne Wagen besaß, lief es sinngemäß unter der Firmierung >Grüne Radler< und empfahl sich zu Kleintransporten aller Art dem Publikum durch ständige Anzeigen in den Zeitungen. Dem Wagen der >Grünen Radler< folgte in geringem Abstand ein Motorrad alter Bauart, auf dem zwei sehr junge Leute saßen. Zu beiden Seiten der Lenkstange baumelten zwei prall gefüllte Einkaufsnetze herab, und das junge Mädchen auf dem Soziussitz trug außer einem schweren Rucksack auch noch eine vollgestopfte Markttasche auf dem Schoß. Die >Grünen Radler< hielten vor dem Haus Mozartstraße 36, und zwei Schritte hinter ihnen stoppte auch das Motorrad, allerdings mit einer schußartigen Fehlzündung, die den Oberst a. D. Aurel von Krappf aus dem Halbschlummer riß. Er haßte nichts mehr als eine bleiche Gesichtsfarbe und nahm, da es ein schöner Vorfrühlingstag war, am geöffneten Fenster ein Sonnenbad. Zu seinen Füßen schlief der Dackel Waldmann, den der Knall nicht aus der Ruhe brachte, denn sein Gehör versagte jetzt tatsächlich vollständig. Herr von Krappf griff nach der silbernen Stielglocke und läutete einen kurzen Schwung, worauf Fräulein Elfriede umgehend erschien.
»Was gibt’s, Reichen?«
»Schau hinunter, Elfriede. Ist das etwa das ältere, kinderlose Hausmeisterehepaar, von dem du gesprochen hast?«
Fräulein von Krappf spähte durch die Gardine auf die Straße hinunter.
»Ich habe es bei Brieskorn gehört, Aurel«, murmelte sie achselzuckend; aber um ihn zu versöhnen, fügte sie hinzu: »Nun, wenigstens sind es ältere Kinder, sie werden dich nicht allzusehr stören.«
»Möchte nur wissen«, knurrte er, »wie die Leute zu viert in zwei Zimmern hausen wollen, von denen eins kein Zimmer, sondern ein Loch ist. Na, sind nicht meine Sorgen. Danke!« Und das war das Zeichen für Fräulein Elfriede, sich zu entfernen. Wenn der Oberst weniger gut gesattelt war, tat es eine Handbewegung, als scheuche er eine Fliege vom Tisch.
Unten öffnete Dr. Lindberg das Fenster seines Arbeitszimmers, nicht aus Neugierde, denn von dem Knall hatte er über seiner Arbeit nichts gehört. Und außerdem interessierten ihn die Bewohner des Hauses herzlich wenig. Er öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, denn wenn er arbeitete, zündete er eine Zigarette an der anderen an, und der Rauch zog in solch dichten Schwaden aus dem Fenster ab, daß Passanten schon mehrmals geglaubt hatten, sie müßten die Feuerwehr alarmieren, da im Parterre ein Zimmerbrand ausgebrochen sei. Drüben aus dem Wohnzimmerfenster schaute seine Frau Gitta hinaus, die die Vorgänge im Hause auch nicht allzu stark, aber doch ein wenig mehr interessierten als ihn. Und die >Grünen Radler< als Umzugsunternehmen waren immerhin merkwürdig genug, um sich die neuen Mieter einmal anzusehen. Man wollte ja schließlich wissen, mit wem man unter einem Dach lebte.
Vor dem Haus kletterte das junge Mädchen vom Soziussitz des Motorrades
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