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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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herab, stellte die Markttasche aufs Pflaster und ließ sich von dem Jüngling, dem der Wind den blonden Haarschopf in die Stirn wehte, den schweren Rucksack abnehmen. Sie war ein entzückendes Geschöpf, achtzehn oder neunzehn Jahre alt, sehr schmalhüftig und schlank, und in den engen schwarzen Hosen und der feuerroten Windjacke, deren Kapuze lose auf den Rücken fiel, reizend anzusehen. Das rabenschwarze Haar war über dem Wirbel mit einem roten Schleifchen zusammengebunden.
    Der junge Mann, der aussah, als sei er keinen Tag älter als einundzwanzig Jahre, trug sandfarbene Manchesterhosen, einen schwarzen Anorak und um den Hals einen kühngeschlungenen, bunten Seidenschal. Er war gesund und stämmig und behandelte seine Schwester außerordentlich nett, fast wie ein Liebhaber seine Geliebte. Für einen Augenblick legte er, als sie sich die schmerzenden Schultern rieb, wo die allzu schmalen Riemen des Rucksacks eingeschnitten hatten, den Arm mit einer ausgesprochen zärtlich wirkenden Geste um ihre Hüften. Inzwischen waren auch die >Grünen Radler< aus dem Wagen geklettert, und einer von ihnen schlug die Plane zurück, um mit dem Entladen zu beginnen.
    »Sollten das etwa unsere neuen Mieter sein?« fragte Frau Lindberg ungläubig.
    »Soviel mir durch dich bekannt ist, mein Herz, soll es sich um ein älteres Ehepaar handeln«, antwortete er in dem liebenswürdig belehrenden Ton, den er seiner Frau gegenüber anschlug, wenn er rasch in die Rolle des älteren seriösen Herrn schlüpfte, der sich jungen Frauen in edelster Absicht nähert, »und soviel ich ferner weiß, soll es die Institution der Kinderehe nur noch in einigen ländlichen Bezirken Nordindiens und Mittelchinas geben...«
    »Der Knalleffekt der Natur trägt aber einen Ehering«, stellte Frau Lindberg scharfäugig fest.
    »Nun, es wird ein Solitärring sein, dessen Stein nach innen gerutscht ist.« Die Ironie in seinen Worten lag darin, daß die jungen Leute den Eindruck machten, als läge die Anschaffung von Brillanten und kostbar gefaßten Ringsteinen bei ihnen noch in sehr, sehr weiter Ferne. »Und jetzt komm vom Fenster weg, Gitta. Erstens ist es unvornehm, und zweitens scheinen wir die jungen Leute zu genieren.«
    »So, Sabinchen!« sagte draußen der junge Mann sehr laut, daß man es bis zum zweiten Stockwerk hinauf hörte. »Ich gehe rauf, und du bleibst unten. Und gib acht, daß die >Grünen Radler< mit den Kisten mit dem Silberzeug und vor allem mit dem Kristall vorsichtig umgehen.«
    Er zog einen Schlüssel aus der Hosentasche, der fraglos zum Schloß der Haustür gehörte, und nahm einen Holzkeil mit, um die Tür für eine Weile festzuklemmen. Das Sabinchen aber wurde purpurrot, denn was die >Grünen Radler< bisher ausgeladen und auf den Gehsteig gestellt hatten, sah so wenig nach Kristall und Silber aus, daß zu befürchten war, auch unter den folgenden Gegenständen werde man vergeblich nach solch kostbarem Hausrat suchen. Es war die reine Frechheit von dem jungen Mann, dem die Beobachtung aus der Parterrewohnung und aus einigen höher gelegenen Fenstern auf die Nerven gegangen sein mochte, wenn es im Augenblick auch nur noch die Söhne von Oberregierungsrat Pünder waren, die ihre Köpfe aus dem Fenster reckten und sich über das alte Motorrad amüsierten.
    Frau Lindberg konnte es nicht lassen, wenigstens noch eine kleine Weile durch die Gardine zu spitzen.
    »Ein Umzug mit den >Grünen Radlern<...! Mein Gott, Lindberg, schau dir diese Möbel an!«
    »Schäm dich, Gitta, seit wann bist du ein Snob?«
    »Ach was, Snob. Im Gegenteil, mir bricht es das Herz.«
    Was das Herz der jungen Frau Lindberg brach und zum Schmelzen brachte, waren die Gegenstände, die aus dem Lieferwagen nach und nach ausgeladen und von den >Grünen Radlern< oder von dem jungen Mann, der unermüdlich treppauf und treppab lief, nach oben getragen wurden.
    Ein alter Küchentisch, dessen Holzplatte schon ganz dünn gescheuert war, zwei Stühle mit grünen Linoleumeinsätzen, ein Regal von jener Sorte, die man Aktenhunde nennt, ein sehr schmaler und einfacher Schrank aus weißlackiertem Holz, dessen Lack schon jetzt Sprünge aufwies, ein Eisenbettgestell mit dreiteiliger Kapokmatratze, und als Prunkstück der Einrichtung ein nilgrün bezogenes Schlafsofa, das offensichtlich neu angeschafft worden war. Alle anderen Möbel, auch die beiden kleinen Polstersessel, sahen aus, als kämen sie aus dem Versteigerungslokal eines Gerichtsvollziehers oder als seien sie auf sonstigen

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