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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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am Ort zum Kartenspielen. Sie spielen ein Spiel namens briscola und ein weiteres namens 151 , beide mit strengen Regeln, zu denen auch (wir sind in Italien) Regeln des erlaubten Mogelns gehören. Vier Spieler sitzen um einen Tisch und knallen dramatisch die Karten hin, während Ratgeber und Verleumder um sie herumstehen und lautstark Ratschläge und Vorwürfe beisteuern. Sonntagnachmittags machen sich die Männer fein und spielen Boccia
mit schweren Kugeln, die sie eine lange Sandbahn entlangrollen lassen. Kein Spiel ist vollständig ohne einen Pulk laut streitender Schiedsrichter.
    Die Gemeinde San Orsola zieht sich ein langes Flußtal entlang und auf beiden Seiten die bewaldeten Berghänge hinauf. Es gibt Dutzende von Weilern, oder frazioni , die alle zum Dorf gehören. Den Dorfmittelpunkt bildet ein Dreieck aus Kirche, Bar und campo sportivo. Nach einigen Gläsern des hiesigen Sangiovese wird jeder Sie in das gemeinsame Geheimnis der Orsolani einweihen: Umbrien ist der Mittelpunkt der Welt, San Orsola Umbriens Herz. Strikt geographisch gesprochen ist dies nicht zutreffend, aber darüber sollte man nicht streiten. Die Nähe zur toskanischen Grenze ist ebenso irrelevant wie die Nähe schöner Städte und das Herannahen des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Als ich in Venedig lebte, glaubte ich die stolzesten Menschen der Welt gefunden zu haben, aber hier leben die stolzesten Menschen, und zwar ohne die Hochnäsigkeit der Venezianer. Sie lassen keine anderen Orte (fast alle unbekannt) gelten; dies ist der beste, der erste, der schönste. Und es funktioniert offenbar wie eine Lektion in positivem Denken: Das Dorf hat eine so angenehme Atmosphäre, daß in der ganzen Gegend potentielle Rivalen spontan sagen: »San Orsola è bello , eh, einen solchen Ort gibt es nicht noch einmal.«
    Trotz meiner jahrelangen Gehirnwäsche vor Ort muß ich sagen, daß San Orsola in Wirklichkeit nicht das ästhetisch erfreulichste Dorf Umbriens ist. Aber die Stimmung ist bello , und ich teile die Meinung, daß es einen solchen Ort wirklich kein zweites Mal gibt.
    In den fünfziger und sechziger Jahren, als die Arbeit noch knapp war und alle, außer den Landbesitzern, bitterarm, gin
gen Dutzende von Männern und Jungen zum Arbeiten in die Schweiz. Darum wird es manchmal das Schweizer Dorf genannt (von denen es in dieser Gegend viele gibt). Imolo erzählte mir:
    »Ich bin auch in die Schweiz gegangen. Dort habe ich Präzision gelernt. Es ist kalt da, die Menschen sind innen kalt. Ich hatte Glück, weil ich eine Familie kennenlernte, die mich aufnahm. Ich glaube, ich wäre gestorben, wenn ich allein hätte zurechtkommen müssen. Es war hart. Von der Schweiz bin ich nach Mailand gegangen. Ich habe an alten palazzi und Kirchen gearbeitet. Die meisten Dorfbewohner, die fortgingen, haben draußen gelitten. Unsere Kinder werden niemals fort müssen , so wie wir.«
    Imolo hat zwei Kinder, wie alle Familien in San Orsola. Familien werden (in strengem Ungehorsam gegen den Papst) geplant. Eines Abends in Reginas Bar, er spielte mit seinem leeren Weinglas und einer verknautschten Zigarette, sagte er zu mir,
    »In anderen Dörfern gehen die Kinder jetzt nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Ich denke, dem versuchen wir hier etwas entgegenzusetzen.«

7. Kapitel
    A m 3. Juni hatte die Zweizimmerwohnung im Parterre Wasser, Strom, Installation sowie einen Anstrich, und die beiden irischen Beauties reisten mit Allie per Zug aus Venedig an und zogen dort ein. Allie hatte es geschafft, das Geheimnis des baufälligen Zustands unserer Villa bis fast zum Ende der Reise für sich zu behalten. Auf der Taxifahrt vom Bahnhof Perugia Centrale konnte er vor Aufregung nicht mehr an sich halten und ergötzte die Beauties mit den Schrecken, die auf sie warteten. Es war eine gute Taktik. Sie kamen in solcher Sorge angesichts der Vorstellung, in Betonmischmaschinen schlafen und vom Fußboden essen zu müssen, daß die spartanische Bleibe sie entzückte. Es war nicht, was sie sich unter der »Personalwohnung« vorgestellt hatten, die wir ihnen Monate zuvor recht großspurig angeboten hatten, als wir alle noch in Venedig waren, aber sie war sozusagen möbliert, sie war frisch gekalkt, und in den kleinen, tief eingelassenen Fenstern war Glas.
    Imolo, Regina, Gigi und die Elektriker hatten ihre Gärten und Cantinas nach dem allernötigsten Mobiliar durchforstet. Die beiden Räume und die lange Küche wirkten wie Zellen, kahl, hoch und kühl.
    Allie war begeistert

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