Ein Haus in Italien
geselliges Leben. Notlieferungen von Wassermelonen konnten um drei Uhr morgens anfallen, und aus den Fenstern dröhnte Musik, ob die Mädchen da waren oder nicht. Viele ihrer Freunde waren auch Iseults Freunde, und viele Ausflüge unternahmen sie gemeinsam.
Die rudimentäre Regelung, die ich anfangs angestrebt hatte, war einem Zustand des sporadischen Chaos gewichen,
unterbrochen von Ausflügen nach Rom. Waren sie zu Hause, hörten wir, zuverlässig wie eine Kirchturmuhr, um Punkt zehn, den Motor des winzigen, ramponierten blauen motorino losknattern, begleitet von dem allabendlichen Streit, welche der Beauties zur Kurve vor dem Haus unserer Nachbarin Maria laufen mußte und welche das asthmatische Gefährt fahren durfte. Der Hügel zur Villa war zu steil für beide. Mit seiner Bauweise kommt es ein italienisches Moped an sich hart an, auch nur eine der drallen Schönen zu tragen, doch sobald bergabwärts beide darauf saßen, riß das Bremskabel todsicher. Nachts, irgendwann zwischen drei und sechs und vom stotternden Minimotor ihres Gefährts angekündigt, kehrten die Mädchen zurück, störten Eulen und Nachtigallen und schreckten uns kurz aus dem Schlaf.
Die festa der Madonnina del campo war Wochen zuvor angekündigt worden, doch das zweite Sommerfest von San Orsola rückte heran und stand nahezu ohne Warnung vor der Tür. Es galt offenbar als so bedeutendes Ereignis, daß alle davon wissen mußten, wir eingeschlossen. Das war eine festa , die man seit Jahrhunderten beging. Ursprünglich hatten die Mönche von San Orsola sie veranstaltet. Jedes Jahr wurde ein Dorfbewohner bestimmt, der für das Fest Lebensmittel sammelte. Dafür mußte er zu den verschiedenen Klöstern im Umkreis gehen, um Mehl, Honig, Eier, Fleisch und Käse zu holen, die für diesen Tag benötigt wurden. Alle Gutsbesitzer spendeten etwas. Nun, da die Mönche verschwunden waren, wurde das Fest vom proloco organisiert, und das Essen wurde teils gestiftet, teils gekauft.
Das Mittagessen wurde in Küchen sowie auf den Holzkohlegrills am Sportplatz zubereitet, und zu diesem campo sportivo führten uns Iseult und die Beauties eines Sonntags
im Juli. Wieder waren die Straßen mit Ginsterblüten bestreut, die intensiv dufteten, wenn eine Brise sie aufwirbelte. Eine von Don Annibale angeführte Prozession zog durchs Dorf, aus jedem Fenster hingen handbestickte Tischtücher und Bettüberwürfe aus Leinen, blendend weiße Fahnen, in der Sonne. Zwei Männer trugen das angeschlagene Ölgemälde der San Orsola und flößten den Sarazenen, die ich Monate zuvor in einen Winkel der Kirche eingeklemmt entdeckt hatte, Gottesfurcht ein; hinter dem Gemälde trippelten mehrere Meßdiener in weißen Chorhemden und grellfarbenen Turnschuhen, gefolgt von einer Blaskapelle und einer sich schlängelnden, schwitzenden Gemeinde aus mehr Dorfbewohnern, als ich je gesehen hatte.
Am hinteren Teil dieser Prozession (deren Ziel die Kirche war) herrschten ein starker Schwund in Richtung Bar und ein zunehmender Exodus zum campo sportivo , der am anderen Dorfende lag, hinter einem kleinen, ummauerten Friedhof, der von Zypressen eingefaßt war.
Bei drei Sorten crostini , zwei Sorten Pasta, Kalbsbraten mit Erbsen und riesigen, überladenen Platten mit gebratenem Huhn und Lamm lernten wir Dutzende neuer Orsolani kennen. Als Ausweis dienten, wie immer, die Kinder: Allie schien nicht nur jedermann zu kennen, er war auch sehr gefragt bei den jeweiligen Kartenrunden. Offenbar hatte er in den Monaten zuvor nicht nur briscola gemeistert, er hatte auch Glück im Spiel gehabt und war ein begehrter Partner. Die Beauties sollten, schließlich war es ein Fest, ihre beachtlichen Fähigkeiten im Armdrücken vorführen, und Iseult vergab alle Tänze für den bevorstehenden Tanzabend.
Nachdem man den ganzen Nachmittag lang hingebungsvoll getrunken hatte, von Sportwettkämpfen nur unwesent
lich unterbrochen, begannen die Vorbereitungen für den ballo liscio , das Tanzvergnügen, das zu so vielen italienischen Festen gehört. Ein Akkordeonspieler und ein unsäglich betrunkener Geiger nahmen am Ende eines Tennisplatzes Aufstellung und kaum hatten sie den ersten Ton gespielt, stürmten die Orsolani den Teerboden. Imolos Frau Maria fand sich dort in den Armen von Franco wieder, einem sechzigjährigen Bauarbeiter. Er walzte mit der mechanischen Grazie einer viktorianischen Aufziehpuppe, die auf einem Spiegelsee tanzt. Silvio warf sich, ungeachtet seiner achtzig Jahre und scheinbaren
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