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Ein Haus in Italien

Ein Haus in Italien

Titel: Ein Haus in Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa St Aubin de Terán
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Zerbrechlichkeit, in den Kampf, wobei er sich die größten Mädchen und Frauen mit den größten Busen griff. Die Tangos, Walzer und Polkas wurden nur durch eine gelegentliche Mazurka unterbrochen. Es wurde dunkel, und auf dem Tanzboden herrschte Gedränge. Ich bekam bei einigen Polkas die Füße plattgetreten und stolperte durch einen Walzer, bevor ich mich an den Rand des Geschehens zurückzog, überzeugt, daß ich Tanzstunden würde nehmen müssen, um die Schritte zu lernen. Zwei oder drei Paare tanzten nicht einfach, sie beherrschten Schrittfolgen von bewundernswerter Komplexität.
    Lange nach Mitternacht gingen wir nach Hause, trotteten durch das Tal die drei Kilometer zu unserer Villa, begleitet von Akkordeonklängen und Stimmengewirr. Es war, als seien wir durch das Taufritual des Eintauchens in die Dorfgemeinschaft aufgenommen worden, denn auf den Kleidern trugen wir säuerlich riechende Weinspuren nach Hause, außerdem Orangenlimonadeflecken, Kaffeespritzer, Fett vom spätabendlichen Grillen, Lehmflecke sowie Blut vom Nasenbluten, das Allie auf dem Fußballplatz überfallen hatte. Noch lange, nachdem wir zu Bett gegangen waren, erklang die Mu
sik, von Rufen und Lachen unterbrochen. Wir spielten mit der Idee, zurückzugehen und weiter mitzufeiern, aber an den hiesigen Wein muß man sich gewöhnen, und es bedarf einer ausgedehnten Lehrzeit, seine Wirkung zu ertragen. Mit brummendem Kopf konnte ich nur noch nach Hause stolpern, während der betrunkene Geiger, der schon zu Beginn ausgesehen hatte, als werde ihn eine einzige plötzliche Bewegung, mit Sicherheit aber die nächste halbe Stunde umkielen, noch immer fiedelte, als wir gingen. Dabei schwankte er bedenklich auf seinem Stuhl und wurde im Gesicht immer röter, während er unentwegt Plastikbecher mit dem tödlichen Gesöff kippte. Am folgenden Tag beklagten sich alle Mädchen über blaue Flecke, weil beim Tanzen so viele kleine Männer den Kopf in ihren Busen vergraben hatten.
    Nach der zweiten festa gab es eine Flaute. Die wichtigsten Arbeiten in der Landwirtschaft waren jetzt Hacken und Wässern. Wasser wurde von künstlich angelegten Seen auf die Felder gepumpt, so daß die Pflanzen grün blieben und in atemberaubendem Tempo wuchsen. An den Waldwegen reiften wilde Pflaumen und fielen zu Boden, die ersten Aprikosen würden bald soweit sein. Die Reben hatten sich über ihre Drähte getastet und gewunden, die gekappten Weidenstümpfe, die sie stützten, wucherten und trieben Reihen durchsichtiger grüner Blätter und drahtiger Ranken. Es hatten sich so viele Weintrauben gebildet, und sie wurden so prall, daß die Stöcke ihr Gewicht unmöglich würden tragen können. Die wuchernde Wegwarte mit ihren stachligen Blättern, staksigen Stielen und kurzlebigen blaßblauen Blüten hatte die letzten Mohnblumen zu Boden gedrückt.
    Inzwischen war es für Picknicks zu heiß. Aus Salami und der Mortadella troff das Fett, das Brot wellte sich und wurde
zu Toast, sobald wir es hinaustrugen. Aber Allie war ein unermüdlicher Picknicker, der auch dann noch seine trocknen Brotkanten, seinen in braunes Papier gewickelten, durchfettenden Aufschnitt und die Dosen mit lauwarmen Sardinen packte, als das Essen im Freien unter der erbarmungslosen Sonne für alle anderen kein Vergnügen mehr war. Seine Entschiedenheit scheiterte schließlich an der Wegwarte und einer besonders niederträchtigen Distelsorte. Sie drang durch Leinenschuhe, Hosen, Taschen und alles, was wir als Sitzunterlage wählten, und man konnte sich ernsthaft daran verletzen. Widerwillig gab Allie seine Mittagessen in den angrenzenden Feldern zugunsten der schlichten, zementstaubüberpuderten Mahlzeiten auf, die unsere tägliche Kost waren.
    Irgendwann Ende Juli verschwanden die üblichen Merkmale des Sommers und wichen fast über Nacht verdorrten Farnen und Gräsern, fallenden Blättern, reifenden Brombeeren und einer Palette aus Ocker-, Orange- und Rottönen. Wie auf ein geheimes Zeichen verwelkten die Blumen oder warfen die Blütenblätter ab und nahmen den Gärten jede Farbe. Lange vor Mitte August war der Sommer, wie ich ihn immer gekannt hatte, vorüber. Bei sengender Hitze setzten die üblichen Veränderungen des Herbstes ein. Die Eichenblätter wurden einheitlich rotbraun, blieben aber hängen. Verschrumpelt und gewellt, klammerten sie sich stur an ihre Bäume. Rund ums Dorf gab es fast nur Eichenwälder: Es gab klassische Eichen, Zerreichen, einige wenige Steineichen, und alle behielten ihre Blätter,

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