Ein Held unserer Zeit
andern in dem Maß, als ein blasser Lichtschein sich vom Osten her über das dunkelblaue Himmelsgewölbe verbreitete und nach und nach den jungfräulichen Schnee der Berge beleuchtete. Zur Rechten und zur Linken thaten sich schwarze geheimnißvolle Abgründe auf, und die über sie hinrollenden Nebelwolken theilten sich und zogen wie riesige Schlangen an den Felsenrissen entlang, als hätten sie erkannt, daß der Tag im Anzuge war, und wollten sich vor ihm verstecken.
Auf der Erde wie in der Luft herrschte tiefes Schweigen, wie im Herzen des Menschen in dem Augenblick, wo er sich seinem stillen Morgengebet hingibt. Nur von Zeit zu Zeit blies ein frischer Luftzug von Osten her und erhob die vom Nachtfrost erstarrten Mähnen unserer Pferde.
Wir machten uns auf den Weg. Nur mit Mühe zogen fünf erbärmliche Klepper unsern Wagen auf dem vielfach sich windenden Wege, der nach Gut-Gora führt.
Wir folgten zu Fuße, und jedes Mal, wenn die Pferde ermüdet stehen blieben, um zu verschnaufen, legten wir Steine unter die Räder.
Man hätte meinen sollen, unser Weg führe direct in den Himmel, – denn Alles, was wir vor uns sahen, führte noch immer bergan und endete in einer Wolke, welche seit dem vorhergehenden Abend über der Bergspitze schwebte wie ein Geier, der seine Beute erspäht.
Der Schnee knirschte unter unsern Füßen. Die Luft hatte sich so sehr verdünnt, daß ich nur mit Mühe zu athmen vermochte, und das Blut mir jeden Augenblick nach dem Kopfe stieg. Und doch empfand ich ein unerklärliches behagliches Gefühl in allen meinen Gliedern und mir war ganz froh zu Muthe, daß ich mich so hoch über der gemeinen Welt befand; – ein kindisches Gefühl, ich gebe es zu; aber wenn man sich aus den gesellschaftlichen Schlingen befreit, um sich der Natur zu nähern, wird man unwillkürlich wieder ein Kind. Die Seele läßt Alles fahren, was künstlich ist, und sie ist bestrebt, sich zu verjüngen und wieder so zu werden, wie sie ohne Zweifel einst wieder sein wird. Wer wie ich das Glück gehabt, auf einsamen Bergen umherzuirren, sie in allen ihren wunderbaren Formen lange zu betrachten, und die reine, belebende Luft ihrer tiefen Schluchten zu athmen, der wird ohne Mühe begreifen, daß ich das Bedürfniß fühle, diese Empfindungen zu schildern, diese großartigen Bilder zu beschreiben.
Endlich haben wir die Spitze der Gut-Gora erreicht. Wir machen Halt und blicken uns um. Eine graue Wolke hing über dem Berge, und ihr kalter Athem verkündete einen nahen Sturm. Aber im Osten war Alles so hell und goldig schimmernd, daß wir, das heißt der Hauptmann und ich, die Wolke und ihre Drohungen vollständig vergaßen ...
Ja, auch der Hauptmann bewunderte dieses Schauspiel: einfache Herzen haben ein weit lebhafteres und mächtigeres Gefühl für die schönen, großen Naturbilder als wir, die wir über Bücher und Worte in Begeisterung gerathen.
"Sie," sagte ich zu meinem Begleiter, "müssen an solche großartige Naturbilder gewöhnt sein."
"Ja," versetzte er, "man gewöhnt sich auch an das Pfeifen der Kugel, – wie man sich daran gewöhnt, die unwillkürlichen Regungen des Herzens zu beherrschen."
"Man sagt jedoch, daß für manchen alten Krieger eine solche Musik sogar etwas Angenehmes sei."
"Etwas Angenehmes ... wenn Sie wollen, ja ... aber in dem Sinne, daß dann das Herz lebhafter schlägt als gewöhnlich ... Aber sehen Sie doch," setzte er, nach dem Osten zeigend, hinzu; "welch ein Land!"
Und in der That, dieses Panorama ist einzig in seiner Schönheit. Unter uns rollte sich das Koischauerthal auf, von der Aragua wie von zwei Silberfäden durchschnitten. Zu beiden Seiten dieses Thals wogte ein bläulicher Nebel, welcher vor den warmen Strahlen des Morgens zerfloß und in benachbarte Schluchten flüchtete. Zur Rechten wie zur Linken erhoben sich amphitheatralisch schneebedeckte oder mit Waldungen bestandene Berge; in der Ferne eben solche Berge, aber sie waren aus der Perspective einander ganz gleich und sahen aus wie Felsen. Und über diesen luftigen Bergkämmen, über diesen Schneemassen glänzte ein so reiner, so heiterer Purpurglanz, daß es Einem bedünkte, hier könnte man ewig leben. Die Sonne begann gerade hinter den bläulichen Bergen zu erscheinen, die nur ein geübtes Auge von den Dunstwolken zu unterscheiden vermochte. Aber über der Sonne zog sich ein rother Streifen hin, – und auf diesen lenkte mein Begleiter meine besondere
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