Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
Vom Netzwerk:
führten, und daß allem Anschein nach mancher darunter sei, der keine erlogenen Gefühle zur Schau trüge; daß übrigens diese Ernüchterung eine Art Mode geworden, die wie alle Moden in den höchsten Klassen der Gesellschaft entstanden sei und sich von dort in niedrigere Regionen verbreitet habe, wo man sie übertreibe. Gegenwärtig suchten die meisten derer, welche in der That an dieser Krankheit litten, dieselbe wie ein Verbrechen zu verheimlichen.
     
    Der Hauptmann begriff diese Feinheiten nicht, schüttelte den Kopf und sagte mit einem sarkastischen Lächeln:
     
    "Haben nicht die Franzosen die Mode der Langeweile bei uns eingeführt?"
     
    "Nein," erwiderte ich, "die stammt von den Engländern."
     
    "Aha," rief er aus; "das wundert mich nicht; die sind immer unverbesserliche Trunkenbolde gewesen."
     
    Dieser Ausfall erinnerte mich unwillkürlich an eine Moskauer Dame, welche behauptete, Byron sei weiter nichts als ein Trunkenbold. Uebrigens war die Bemerkung des Hauptmanns weit eher zu entschuldigen als die der Moskauer Dame; denn um sich in seinen Vorsätzen der Nüchternheit zu bestärken, suchte er sich natürlich einzureden, alles Unglück dieser Welt rühre von der Trunksucht her.
     
    Nach dieser Abschweifung fuhr er in seiner Erzählung folgendermaßen fort:
     
    Kasbitsch zeigte sich nicht wieder, aber – ich weiß nicht warum, – ich konnte mich des Gedankens nicht entschlagen, daß er nicht umsonst sich dem Fort genähert, sondern irgend etwas Böses im Schilde führe.
     
    Eines Tages bat mich Petschorin, ihn auf die Eberjagd zu begleiten. Lange sträubte ich mich; aber endlich gab ich wie immer nach.
     
    Wir nahmen eine Escorte von fünf Soldaten und begaben uns früh Morgens auf den Weg. Bis zehn Uhr durchstreiften wir Wald und Sumpf – nicht eine Spur von Wild.
     
    "Thäten wir nicht besser, zurückzukehren?" sagte ich.
     
    "Wozu uns abmühen? Wir haben einmal einen unglücklichen Tag."
     
    Aber trotz Hitze und Müdigkeit wollte Petschorin ohne Wild nicht zurückkehren ... So war er. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so mußte er auch seinen Willen haben; offenbar muß er in seiner Jugend schrecklich verzogen sein ... Endlich, gegen Mittag entdecken wir einen dieser verfluchten Eber: – paff, paff! ... ja wol, er entwischt uns ... es war wirklich ein unglücklicher Tag! ... Aber jetzt schlagen wir doch, nachdem wir uns ein wenig ausgeruht, den Heimweg ein.
     
    Wir ritten schweigend neben einander, die Zügel lose in den Händen haltend. Schon befanden wir uns in der Nähe des Forts, das gerade ein Gebüsch unsern Blicken entzog, als plötzlich ein Schuß fiel ... Wir sehen einander an: Petschorin wie mich durchzuckte derselbe Gedanke ... Wir sprengen auf die Stelle zu, wo der Schuß gefallen war. Auf dem Walle waren die Soldaten zusammengelaufen und zeigen nach der Ebene: – Da fliegt ein Reiter durch das Feld mit einem weißen Gegenstande im Sattel. Petschorin war ein eben so geschickter Schütze als der gewandte Tschetschenze. Im Nu hat er die Flinte am Kopfe und gibt seinem Pferde die Sporen; ich folge ihm.
     
    Zum Glück waren unsere Pferde Dank unserer schlechten Jagd nicht ermüdet. Sie bäumten sich unter den Sporen und mit jedem Augenblick wurde der Raum zwischen uns und dem Räuber kleiner ... Endlich erkannte ich Kasbitsch; doch vermochte ich noch nicht zu unterscheiden, was er vor sich auf dem Sattel hatte.
     
    In demselben Augenblick hole ich Petschorin ein und rufe ihm zu: "Es ist Kasbitsch."
     
    Er sieht mich an, schüttelt den Kopf und gibt seinem Pferde einen neuen Peitschenschlag.
     
    Da endlich sind wir nur noch einen Büchsenschuß von dem Räuber entfernt. Sei es, daß sein Pferd weniger kräftig war als die unsrigen, oder bereits ermüdet, – kurz, trotz aller Anstrengungen bewegte es sich nur noch widerwillig von der Stelle. Ich glaube, daß er in diesem Augenblicke an seinen Karagos dachte.
     
    In vollem Rennen nimmt Petschorin den Kasbitsch aufs Korn ...
     
    "Schießen Sie nicht!" rief ich ihm zu; "behalten Sie Ihren Schuß für eine andere Gelegenheit; wir bekommen ihn ohnehin in unsere Gewalt."
     
    Ach, die Jugend, die Jugend! Sie erhitzt sich immer zur Unzeit ...
     
    Der Schuß fällt, die Kugel schlägt dem Pferd in ein Hinterbein: es bäumt sich, macht etwa noch zehn Sprünge, wankt und stürzt auf die Knie. Kasbitsch sprang herunter und da sahen wir, daß er eine verschleierte Frau in seinen Armen hielt ... Es war Bela ...

Weitere Kostenlose Bücher