Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
Vom Netzwerk:
weinen konnte, oder sich beherrschen wollte, ich weiß es nicht. Was mich betrifft, nie in meinem Leben habe ich etwas Schmerzlicheres gesehen.
     
    Gegen Morgen hörte das Phantasiren auf. Etwa eine Stunde lang lag sie ganz blaß und regungslos und zwar in einem solchen Zustande der Schwäche, daß man kaum bemerken konnte, sie athme noch. Dann erholte sie sich wieder ein wenig und begann wieder zu sprechen, – aber wovon! Das würden Sie nie errathen ... Solche Gedanken steigen nur in denen auf, die im Sterben liegen! ... Sie sagte, es thue ihr leid, daß sie keine Christin sei und daß in der andern Welt ihre Seele mit der Petschorins sich nicht wieder vereine, und daß im Paradiese eine andere Frau seine Gattin sein werde.
     
    Da kam mir der Gedanke, sie vor ihrem Tode zu taufen, und ich machte ihr den Vorschlag. Sie sah mich unentschlossen lange und schweigend an und erwiderte dann endlich, sie wolle in dem Glauben sterben, in welchem sie geboren sei.
     
    So verging der ganze Tag. Welche Veränderung war an diesem Tage mit ihr vorgegangen! Ihre blassen Wangen waren eingefallen, ihre Augen hatten sich immer mehr erweitert; ihre Lippen brannten. Sie empfand eine verzehrende Hitze in ihrem Innern, als ob man ihr ein glühendes Eisen in die Brust gestoßen.
     
    Die zweite Nacht brach herein. Wir thaten kein Auge zu und wichen nicht von ihrem Lager. Sie litt schrecklich, seufzte und stöhnte; aber sobald ihre Qualen sich ein wenig linderten, bemühte sie sich, Petschorin zu versichern, daß ihr besser sei, drang in ihn, sich schlafen zu legen, küßte ihm die Hand und ließ ihn nicht aus den Augen.
     
    Gegen Morgen begann sie jenen Schrecken zu empfinden, der die Stunde des Todes verkündet. Sie fing wieder an zu phantasiren, riß sich den Verband ab, und das Blut strömte wieder aus ihrer Wunde hervor. Als wir dieselbe von neuem verbunden, beruhigte sie sich einen Augenblick und bat Petschorin, sie zu küssen. Er kniete neben ihr Bett, er nahm sanft ihr Haupt mit dem Kissen auf und drückte einen Kuß auf ihre erkaltenden Lippen. In demselben Augenblick schlang sie fest ihre zitternden Arme um seinen Hals, als wollte sie ihre Seele in diesem Kusse übergeben ...
     
    Ach, es war ein Glück für sie, daß sie starb! Was wäre aus ihr geworden, wenn Petschorin sie verlassen hätte? Und früher oder später wäre das ja doch geschehen.
     
    Um die Mitte des Tages war sie ruhig und schweigsam, obgleich unser Arzt sie mit seinen Medicamenten quälte.
     
    "Aber ich bitte Sie," sagte ich zu ihm, "Sie haben ja doch selbst gesagt, daß sie unfehlbar sterben müsse; warum sie also noch so belästigen?"
     
    "Es ist doch besser, Maxim Maximitsch," versetzte er; "ich habe dann wenigstens mein Gewissen beruhigt."
     
    Es ist eine schöne Sache um das Gewissen!
     
    Am Nachmittage beklagte sie sich über eine schreckliche Hitze. Wir öffneten die Fenster; allein die Temperatur war draußen noch heißer als im Zimmer. Wir ließen Eis neben ihr Bett stellen – es half nichts. Ich wußte, daß diese unerträgliche Hitze ein Anzeichen ihres nahenden Endes sei und sagte dies Petschorin.
     
    "Wasser, Wasser!" sprach sie mit heiserer Stimme, indem sie sich ein wenig auf ihrem Lager erhob.
     
    Petschorin war kreidebleich geworden. Er goß ihr ein Glas Wasser ein und reichte es ihr.
     
    Ich verbarg mein Gesicht in den Händen und begann ein Gebet zu sprechen – ich weiß nicht mehr, welches ... Ja, ich habe Manchen sterben sehen, in Hospitälern wie auf den Schlachtfeldern, aber das war nichts gegen einen solchen Tod, gar nichts!
     
    Und dann war da, ich muß es gestehen, noch etwas Anderes, das mir das Herz beklemmte: Sie dachte in ihren letzten Stunden nicht ein einziges Mal an mich, – und ich liebte sie doch wie ein Vater! ... Nun, Gott wird es ihr verzeihen! ... Und die Wahrheit zu sagen, was war ich denn in ihren Augen, daß sie im Angesicht des Todes sich mit mir hätte beschäftigen sollen? ...
     
    Sobald sie das Wasser ausgetrunken hatte, fühlte sie sich erleichert, und einige Minuten später verschied sie. Wir hielten ihr einen Spiegel vor die Lippen, nicht ein einziger Hauch trübte ihn.
     
    Ich führte Petschorin fort aus dem Zimmer und zog ihn mit mir hinaus auf die Wälle. Lange schritten wir neben einander auf und ab, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, ohne ein Wort zu sagen. Sein Gesicht zeigte den gewöhnlichen Ausdruck, und das schmerzte mich. Ich an seiner Stelle wäre vor Gram gestorben.
     
    Endlich

Weitere Kostenlose Bücher