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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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die platonische Liebe ist die aufregendste. Die junge Fürstin scheint zu den Frauen zu gehören, die amüsirt sein wollen; wenn es ihr passirt, daß sie sich nur einmal bei dir langweilt, bist du unrettbar verloren. Dein Schweigen muß ihre Neugier erregen und deine Unterhaltung sie niemals vollständig befriedigen; deine Aufgabe wird sein, sie jeden Augenblick aufzuregen; zehnmal wird sie deinetwegen der öffentlichen Meinung zu trotzen scheinen. Sie wird sich dessen später als eines Opfers rühmen und sich vollkommen berechtigt halten, dich dafür zu quälen und dir dann eines schönen Tages ganz einfach zu erklären, sie möge dich nicht ausstehen. Wenn du nach dem ersten Kusse nicht einen wirklichen Einfluß auf sie gewinnst, so wirst du keinen zweiten erhalten. Nachdem sie genug mit dir kokettirt hat, wird sie in ein, zwei Jahren irgend einen abscheulichen, häßlichen Mann heirathen, und zwar aus Gehorsam gegen die Mama; zugleich wird sie sich einreden, daß sie unglücklich sei, daß sie nur einen Mann – und zwar dich – geliebt, daß aber der Himmel es ihr nicht hätte erlauben wollen, den Einzigen zu heirathen, weil er einen Soldatenmantel trug, obgleich unter diesem dicken grauen Mantel ein glühendes, edles Herz schlug ..."
     
    Gruschnitzki schlug mit der Faust auf den Tisch und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.
     
    Ich lachte innerlich und lächelte sogar mehrmals, aber zum Glück merkte er nichts. Es lag auf der Hand, daß er verliebt war; denn er war noch dünkelhafter geworden. Er trug sogar einen silbernen Ring von ganz gewöhnlicher Arbeit am Finger; er kam mir verdächtig vor; ich betrachtete ihn genauer, und was sah ich? ... Der Name Mary, sowie das Datum des Tages, an welchem sie ihm das berühmte Glas aufgehoben, waren hineingravirt. Ich behielt diese Entdeckung für mich. Ich will ihn nicht zu Bekenntnissen nöthigen, ich will, daß er mich selbst zu seinem Vertrauten wählt – und dann, wie werden wir uns dann ergötzen! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
     
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    Heut' bin ich spät aufgestanden; ich war an der Quelle – noch Niemand anwesend. Es war sehr schwül. Weiße flockige Wolken kamen von den schneebedeckten Bergen herangeeilt und verkündeten Sturm. Der Gipfel des Maschuk rauchte wie eine erlöschende Fackel. Graue Nebel rollten um denselben herum und wanden sich wie Schlangen, die auf ihrem Wege aufgehalten werden, – es war, als hätten sie sich an dem Gebüsch festgehakt.
     
    Die Luft war mit Elektricität geladen. Ich hatte mich in die Weinreben-Allee, die nach der Grotte führt, zurückgezogen. Ich war in trüber Stimmung. Ich dachte an die junge Frau mit dem Fleck auf der Wange, von der mir der Doctor gesprochen ... Warum ist sie hier? Aber ist sie's wirklich? Und wie bin ich auf den Gedanken gekommen, daß sie es sei? Und warum bin ich überzeugt, daß sie es in der That ist? Gibt es nicht viele Frauen, die einen Fleck auf der Wange haben?
     
    In dieser Weise nachgrübelnd, trat ich in die Grotte. Das Erste, was mein Auge in dem etwas feuchten Schatten derselben gewahrt, ist eine Frau, die auf einer steinernen Bank sitzt. Sie hat einen Strohhut auf, ist in ein schwarzes Tuch gehüllt, der Kopf hat sich auf die Brust herabgeneigt, und so entzieht mir der Hut ihre Gesichtszüge.
     
    Ich wollte mich wieder entfernen, um sie nicht in ihrem Sinnen zu stören – da plötzlich bemerkte sie mich.
     
    "Wera!" rief ich unwillkürlich.
     
    Sie erbebte und wurde ganz blaß.
     
    "Ich wußte, daß Sie hier waren," sagte sie.
     
    Ich setzte mich neben sie und ergriff ihre Hand.
     
    Ein Beben, wie ich es ehemals kannte, durchzuckte meine Adern bei dem Klange dieser geliebten Stimme. Sie schaute mit ihren tiefen ruhigen Augen in meine Augen; es lag darin ein Ausdruck des Mißtrauens und des Tadels.
     
    "Wir haben uns lange nicht gesehen," sagte ich.
     
    "Sehr lange nicht! Und wir haben uns beide sehr verändert."
     
    "Mit andern Worten, du liebst mich nicht mehr?"
     
    "Ich bin verheirathet!" sagte sie.
     
    "Zum zweiten Mal? Allein vor einigen Jahren existirte dieser selbe Grund ... und doch ..."
     
    Sie befreite ihre Hand aus der meinigen und ihre Wangen färbten sich mit einem lebhaften Roth.
     
    "Vielleicht liebst du deinen zweiten Mann?"
     
    Sie antwortete nicht und wandte sich

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