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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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jeden Tag wird dasselbe durch das Ungestüm des kleinen Waldstromes verändert; wo gestern ein Stein lag, da befindet sich heut' ein Loch.
     
    Ich ergriff Mary's Pferd beim Zügel und zog es ins Wasser, das ihm kaum bis an die Knie ging. Wir näherten uns vorsichtig der Strömung. Bekanntlich darf man, wenn man durch ein reißendes Flüßchen geht, nicht auf das Wasser blicken, will man nicht sofort von einem Schwindel erfaßt werden. Ich hatte vergessen, meiner Begleiterin diese Verhaltungsmaßregel mitzutheilen.
     
    Wir befanden uns bereits mitten in dem Flüßchen, an der Stelle, wo die Strömung am heftigsten war, als sie plötzlich in ihrem Sattel wankte.
     
    "Mir ist übel," sprach sie mit schwacher Stimme.
     
    Ich neigte mich sofort ihr zu, um meinen Arm um ihre zarte Taille zu legen.
     
    "Blicken Sie empor!" flüsterte ich ihr zu. "Es ist nichts; nur keine Furcht; ich bin bei Ihnen."
     
    Sie fühlte sich gleich wieder besser, und versuchte sich von meinem Arm zu befreien; aber ich umschlang ihre zarte, weiche Gestalt nur noch fester; meine Wange berührte beinah die ihrige, welche wie Feuer brannte.
     
    "Was machen Sie?" rief sie ... "Mein Gott!"
     
    Ohne auf ihre Aufregung zu achten, drückte ich meine Lippen auf ihre zarte Wange. Sie erbebte, sagte aber nichts. Wir waren die Letzten; Niemand hatte etwas gesehen.
     
    Als wir das Ufer erreicht hatten, jagten Alle im Galopp davon. Mary hielt ihr Pferd an; ich blieb bei ihr. Augenscheinlich beunruhigte sie mein Schweigen; aber ich hatte mir fest vorgenommen, kein Wort zu sagen – aus Neugier. Ich war begierig, zu sehen, wie sie sich aus dieser schwierigen Lage herausziehen würde.
     
    "Entweder verachten Sie mich, oder Sie lieben mich sehr!" sagte sie endlich mit thränenerstickter Stimme. "Vielleicht wollen Sie sich über mich lustig machen, mir den Kopf verwirren und mich dann verlassen ... ... Das wäre so unwürdig, so niedrig, daß schon der bloße Verdacht ... Aber nein! Nicht wahr," setzte sie in süßem, vertrauensvollem Tone hinzu, "nicht wahr, ich habe nichts an mir, was mir die Achtung rauben könnte? Ihr keckes Benehmen ... Ich muß, ich muß es Ihnen verzeihen, weil ich es zugelassen habe ... Antworten Sie, reden Sie doch – ich will Ihre Stimme hören!"
     
    Sie sprach diese letzteren Worte mit echt weiblicher Ungeduld, so daß ich unwillkürlich lächeln mußte. Zum Glück begann es schon dunkel zu werden, so daß sie es nicht merkte.
     
    Ich antwortete nichts.
     
    "Sie schweigen?" fuhr sie fort. "Vielleicht wollen Sie, daß ich zuerst rede ... daß ich Ihnen sage, wie ich Sie liebe."
     
    Ich schwieg noch immer.
     
    "Wollen Sie das?" rief sie und wandte sich plötzlich mir zu ...
     
    In ihrem Blicke und in ihrer Stimme lag eine eigenthümliche Entschiedenheit ...
     
    "Warum?" antwortete ich achselzuckend.
     
    Sie gab ihrem Pferde einen Schlag mit der Peitsche und sprengte in vollem Galopp auf dem schmalen gefahrvollen Wege dahin. Das geschah so schnell, daß ich sie kaum einholen konnte und zwar erst, als sie sich mit der übrigen Gesellschaft wieder vereinigt hatte. Bis unmittelbar vor das Haus redete und lachte sie in einem fort. Diese Lebhaftigkeit hatte etwas Fieberhaftes. Mich sah sie mit keinem einzigen Blicke an. Allen fiel diese ungewöhnliche Fröhlichkeit auf. Ihre Mutter freute sich innerlich, ihre Tochter so heiter zu sehen; und doch war es weiter nichts als ein einfacher Nervenanfall.
     
    Sie wird diese Nacht ohne Schlaf zubringen; sie wird weinen. Dieser Gedanke gewährt mir einen eigenthümlichen Genuß: Es gibt Augenblicke, wo ich den Vampyr verstehe ... Und doch hält man mich für ein gutes Kind, und ich will, daß man diese Meinung von mir beibehält.
     
    Wir stiegen von den Pferden. Die Damen begaben sich zur Fürstin. Aber ich war aufgeregt; und so bin ich in dem Walde umhergejagt, um die Gedanken zu zerstreuen, welche mir den Kopf beunruhigten.
     
    Der Abend war still und frisch. Der Mond war soeben hinter den dunklen Berggipfeln emporgestiegen. Jeder Hufschlag meines Pferdes ertönte dumpf in den schweigsamen Schluchten wieder. Bei einem Wasserfall ließ ich mein Pferd trinken. In langen Zügen zog ich die frische Luft dieser südlichen Nacht ein. Dann setzte ich meinen Weg fort, um mich nach Hause zurückzubegeben. Ich ritt durch das Dorf. Die Lichter begannen eines nach dem andern zu verlöschen; die Schildwachen auf den Wällen und die auf den Höhen aufgestellten Kosaken unterbrachen von Zeit zu

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