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Ein Held unserer Zeit

Ein Held unserer Zeit

Titel: Ein Held unserer Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Lermontow
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spreizte sich Gruschnitzki mit seiner Lorgnette. Der Taschenkünstler wandte sich jedes Mal an ihn, wenn er ein Taschentuch, eine Uhr, einen Ring u.s.w. gebrauchte.
     
    Seit einiger Zeit grüßt mich Gruschnitzki gar nicht mehr, und heut' sah er mich sogar ziemlich unverschämt an. Er soll mir das Alles bezahlen, wenn wir unsere Rechnung ordnen. Kurz vor zehn Uhr stand ich auf und ging.
     
    Draußen war es so finster, daß man keine Hand vor den Augen sehen konnte. Schwere kalte Nebelwolken lagen auf den Gipfeln der Berge ringsum. Nur von Zeit zu Zeit bewegte der Wind die Wipfel der Pappeln, welche die Restauration umgeben. Vor den Fenstern derselben drängte sich eine Schaar von Neugierigen. Ich schlug den Pfad, der an dem Abhang hinunterführt, ein; in einiger Entfernung beschleunigte ich meine Schritte. Plötzlich war es mir, als ginge Jemand hinter mir her. Ich blieb stehen und sah mich um. Es war jedoch in der Dunkelheit nicht möglich, etwas zu sehen. Aber aus Vorsicht ging ich um Wera's Haus herum, als ob ich promenirte. Als ich unter den Fenstern der Fürstin vorbeikam, hörte ich abermals Schritte. Ein Mann, der in einen Mantel gehüllt war, eilte rasch an mir vorüber. Das beunruhigte mich; allein ich überschritt die Schwelle des Hauses und huschte rasch die finstere Treppe hinan. Die Thür öffnete sich, und eine kleine Hand ergriff die meine ...
     
    "Hat dich Niemand gesehen?" sagte Wera flüsternd und schmiegte sich an mich.
     
    "Niemand."
     
    "Und glaubst du jetzt, daß ich dich liebe? O, ich habe so lange geschwankt, so lange mit mir gekämpft ... Aber du machst aus mir was du willst."
     
    Heftig pochte ihr Herz, aber ihre Hände waren kalt wie Eis. Sie begann damit, mir eifersüchtige Vorwürfe zu machen, und sich über meine Gleichgiltigkeit zu beklagen; sie beschwor mich, ihr Alles zu gestehen, wobei sie versicherte, sie würde muthig meine Untreue ertragen, da sie ja nur mein Glück wolle. Davon bin ich nicht ganz überzeugt; allein ich beruhigte sie durch Schwüre, Versprechungen u.s.w.
     
    "Du wirst also Mary nicht heirathen? Du liebst sie also nicht? ... Und sie glaubt ... Weißt du auch, daß sie wahnsinnig in dich verliebt ist? Das arme Kind!" – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
     
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
     
    Gegen zwei Uhr Morgens öffnete ich das Fenster, band zwei Shawltücher an einander und ließ mich von dem obern Balkon auf den untern herab, wobei ich mich an einer Säule festhielt.
     
    In Mary's Zimmer brannte noch Licht. Ich weiß nicht, was mich verführte, in dasselbe hineinzublicken. Der Vorhang war nicht ganz heruntergelassen, und mein neugieriger Blick konnte bis in das Innere des Zimmers dringen.
     
    Mary saß auf ihrem Bett, die Hände auf den Knieen gefalten. Eine mit Spitzen garnirte Nachthaube vermochte kaum ihr dichtes Haar zurückzuhalten. Ein großes rothes Tuch bedeckte ihre Schultern, und ihre kleinen Füßchen versteckten sich in kostbaren persischen Pantoffeln. Sie saß unbeweglich, das Haupt auf die Brust gesenkt. Auf einem Tischchen vor ihr lag ein aufgeschlagenes Buch; aber ihre starren Blicke, welche die tiefste Traurigkeit ausdrückten, schienen zum hundertsten Mal über ein und dieselbe Seite hinzueilen, als wären ihre Gedanken weit, weit fort ... In diesem Augenblick regte sich etwas hinter dem Gebüsch. Ich sprang von dem Balkon auf das Gras hinab. Eine unsichtbare Hand legte sich auf meine Schulter.
     
    "Aha," sagte eine grobe Stimme. "Ertappt! ... Also wir besuchen in der Nacht Fürstinnen!"
     
    "Halt' ihn recht fest!" schrie ein anderes Individuum, das irgendwo aus einem Winkel hervorsprang. Es waren Gruschnitzki und der Dragonerhauptmann.
     
    Ich versetzte dem Letztern einen Faustschlag an den Kopf, so daß er zur Erde rollte, worauf ich mich in das Gebüsch stürzte. Alle Gartenwege waren mir vollkommen bekannt.
     
    "Diebe, Diebe!" schrien sie; und unmittelbar darauf fiel ein Schuß; der noch rauchende Pfropfen fiel mir fast vor die Füße.
     
    Einige Minuten später befand ich mich schon in meinem Zimmer. Ich entkleidete mich und legte mich zu Bett. Kaum hatte mein Diener die Thür abgeschlossen, als Gruschnitzki und der Hauptmann zu klopfen anfingen.
     
    "Petschorin! Schlafen Sie? Sind Sie zu Hause?" schrie der Hauptmann.
     
    "Ich schlafe!" antwortete ich zornig.
     
    "Stehen

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