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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara J. Henry
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ihre Zurückhaltung und dass sie sich nicht in fremde Angelegenheiten mischen, doch selbst Baker konnte das nicht einfach so durchgehen lassen. Sie sagte mit sanfter Stimme: »Troy, du kannst nicht einfach ein Kind behalten. Er hat irgendwo Eltern, die ganz bestimmt nach ihm suchen.«
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Womöglich haben sie ihn in den See geworfen.« Mir brach beinahe die Stimme. »Ich will nicht, dass sie ihn zu denen zurückschicken.«
    Einen Moment lang fürchtete ich, sie könnte energisch werden und mich fragen, ob ich von Sinnen sei. Dann aber wurde mir klar, dass sie alle Möglichkeiten und Risiken gegeneinander abwog:
Eltern, die ihr Kind nicht zurückbekommen
gegen
Kind, das vielleicht zu Leuten zurückgeschickt wird, die
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es umbringen wollten.
Schließlich nickte sie. Pauls Sicherheit ging vor.
    Ich glaube, wir wussten beide, dass ein Kind, das ein Fremder einfach geschnappt und über Bord geworfen hätte, nach seinen Eltern geschrien hätte. Doch genau das tat der Junge nicht.
    »Er ist also Kanadier?«
    »Wahrscheinlich – aber er hat noch nicht genug gesprochen, dass ich es sicher sagen könnte.« Für mich klingt das kanadische Französisch etwas verschliffener, aber das ist vielleicht auch nur die Umgangssprache. Die Leute aus Québec behaupten, sie sprächen ein reineres Französisch, weil sich in Frankreich nach der Revolution eine vulgärere Variante ausgebreitet habe. Was durchaus plausibel ist, da die Aristokraten enthauptet worden waren.
    Die Hintertür ging auf, und die Horde trampelte herein. Sie hätten Durst, verkündeten sie, und bräuchten Limo. Paul löste sich von ihnen und kam zu mir. Ich fühlte an seiner Stirn, die feucht von Schweiß war. Baker teilte in aller Ruhe die Getränke aus, und Paul trank in tiefen Zügen. Sie stellte eine Platte mit Sandwiches und Möhrenstücken und eine Schüssel Kartoffelchips auf den Tisch, und die Kinder fielen über das Essen her. Paul blieb neben mir stehen und sah mich fragend an. Ich legte ihm ein paar Kartoffelchips auf eine Serviette, die er mit großer Anmut aß.
    »Ich glaube, ich bringe den jungen Herrn lieber nach Hause. Er muss ein bisschen schlafen.« Ich hatte Angst, er könnte sich überanstrengen.
    »Kinder sind hart im Nehmen«, erwiderte Baker, die wohl meine Gedanken gelesen hatte. »Sei vorsichtig, und halte mich auf dem Laufenden. Und wenn du mich brauchst, sag Bescheid.«
    »In Ordnung.« Ich stand auf und nahm die Tüte mit den Kleidern und ein paar anderen Sachen, die Baker uns leihen wollte. »Paul, sag auf Wiedersehen und dankeschön.«
    |47| »Wiederrrsehen, danke schön«, entgegnete er zu meiner Überraschung. Dann warf er einen sehnsüchtigen Blick auf die Sandwiches und nahm sich auf mein Nicken hin noch eins für jede Hand.
    Baker hatte mich daran erinnert, dass kleine Kinder auf dem Rücksitz fahren sollten. Also schnallte ich ihn hinten an und erklärte es ihm so gut wie möglich. Es kann mir komisch vor, ihn dort zu haben, als wäre ich sein Chauffeur. Ich hätte ihn lieber neben mir gehabt, wo ich ihn sehen konnte. Wir fuhren durch die Stadt, und als wir nach rechts auf die 86 in Richtung Lake Placid abbogen, kam in Gegenrichtung ein klappriger, verrosteter Kombi an uns vorbei.
Was für ein Schrotthaufen
, dachte ich beiläufig. Mir fiel das ausländische Kennzeichen auf, und ich fragte mich, ob jemand eigens von Québec herkommen würde, um ein Kind von der Fähre zu werfen. Hätte Paul in Vermont gewohnt, spräche er doch Englisch.
    Ich betrachtete ihn im Rückspiegel. Er war eingeschlafen, sowie wir die Stadt verlassen hatten, und hing jetzt schräg in seinem Sitz. Plötzlich kam mir ein neuer Gedanke. Er war so lange im See gewesen, hatte Wasser geschluckt und war erschöpft und in nasser Kleidung durch die Gegend gelaufen. Ich hatte keine Ahnung, was das für ein Kind bedeutete, das ohnehin nicht sonderlich robust wirkte. Wasser in den Lungen? Eine bakterielle Infektion?
    Ich sah auf die Uhr. Meine Freundin Kate ist Krankenschwester in der Notaufnahme und würde gleich zur Schicht ins Saranac Lake Hospital fahren. Ich rief sie an. Keine Antwort. Also hinterließ ich eine Nachricht, ob sie kurz vorbeikommen könne. Wir waren kaum zu Hause, als ich schon ihre Stimme im Flur hörte. »Jemand da?«
    Keine Ahnung, weshalb so viele meiner Freundinnen wie Models aussehen. Kate ist groß und schlank, mit langem kastanienbraunem Haar und großen Augen, die die Männer verrückt machen. Sie ist

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